Werke
seinen Anfang nehmen sollte«, antwortete der Oheim. »Das ist wahr,« sagte die Tante, »und er wird vielleicht noch lange nicht, oder vielleicht auch gar nie, anfangen.« »Wer kann das wissen?« fragte der Oheim.
»Dietwin sieht so viele schöne, gesittete, wohlgebildete Mädchen,« antwortete die Tante, »und er sieht sie, als ob sie gemalte Bilder wären, nein, nicht einmal so, denn die gutgemalten Bilder würde er bewundern, Gerlint ist auch so gegen die jungen Männer, und gegen einander sind sie beide, wie sie immer gewesen sind.«
»Das muß ich sagen,« sprach der Oheim, »schneller als er wäre ich in meinem einundfünfzigsten Jahre noch; aber siehe zu, eines Tages wird er mit der Tür ins Haus fallen.«
»Erwarten wir, welcher Art der Fall sein wird«, sagte die Tante.
»Der rechten Art, wie kraus er auch aussehen mag«, sprach der Oheim.
»Gebe es Gott«, erwiderte die Tante.
»Der Himmel schließt ja die Ehen«, sprach der Oheim.
»Er schließt sie, wenn eine rechte zu schließen, oder wenn überhaupt eine zu schließen ist«, antwortete die Tante.
»Vielleicht schließt er mehrere,« sagte der Oheim, »da bist ja du in dem Schlosse, dann Gerlint, Auguste, die Kammermädchen, Agathe. Nur für Judith hat er die Ehe schon geschlossen.«
»Führe heute nicht Frevelreden,« entgegnete die Tante, »warten wir, was uns die Geschicke bringen werden.«
»Warten wir,« sagte der Oheim, »wir können warten. Dietwin und Gerlint sind noch jung genug. Und selbst wenn sie einander nicht wählen, so werden sie gewiß so wählen, daß wir auch zufrieden sein können. Ich weiß überhaupt noch nicht, sind die beiden noch in der ersten Abteilung unseres Geschlechtes oder in der zweiten.«
»Sind sie wo immer,« sprach die Tante, »sie haben einen hohen Sinn, und eine Wegwerfung ist nicht zu befürchten«
»Sie ist nicht zu befürchten, und würde nicht geduldet«, sagte der Oheim.
So schloß an diesem Tage die Verhandlung, weil nichts mehr da war, das verhandelt werden konnte.
Der Frühling ging nach dieser Zeit immer rascher in das Land, und wurde immer heißer.
Gerlint sorgte für ihre Rosen, die in Üppigkeit dastanden, sie sorgte noch für allerlei andere Blumen und Gewächse, die sie in ihre Aufmerksamkeit genommen hatte, sie half der Tante in der Verwaltung von Feld und Wiese und Wald, sie wendete ihre Augen auch all den Tieren des Schlosses zu, sie kaufte Bücher und las allein oder mit Auguste in ihnen, sie ritt oft auf ihrem schwarzen Pferde herum, und zuweilen so rasch wie der Vetter Dietwin, und sie gab den jungen Männern der Nachbarschaft und der Stadt keine zuvorkommenden Blicke.
Und als die Zeit der Rosenblüte gekommen war, sandte die Tante ohne Gerlints Wissen Boten an ihren Bruder, an Dietwin und an zahlreiche Nachbarn, daß sie kämen und die Rosen Gerlints bewunderten. Sie kamen und bewunderten die vielen, in der Gegend größten Teils noch unbekannten Rosen, die so reichlich dastanden, daß das Ganze ein Wäldchen von Rosen war. Der Oheim setzte sich sogleich nieder und schrieb an die vorzüglichsten Pflanzenhändler nach England, um seiner Nichte noch vielleicht Rosenschätze zu verschaffen, die sie nicht hatte. Zwei Tage nach dem Abschiede von Biberau kam ein Bote von Dietwin und lud die Bewohner von Biberau nach Weidenbach ein, dort etwas zu besehen. Die Tante, Gerlint, Auguste und Agathe fuhren hin. Sie fanden den Oheim dort und viele Menschen aus der Nachbarschaft. Als auserlesene Erfrischungen dargeboten worden waren, führte Dietwin die ganze Gesellschaft in den Garten. Sie kamen vor ein Gitter, hinter dem eine grüne Wand von Haselnußgesträuchen war. Dietwin öffnete mit einem Schlüssel die Tür des Gitters, und die Gäste traten ein. Nachdem sie einen kurzen Gang in dem Gebüsche zurückgelegt hatten, öffnete sich ein großes, ebenes Feld, auf dem lauter Rosenbäume standen. Waren Gerlints Rosen ein Wäldchen, so waren Dietwins Rosen ein Wald. Das sah man auch gleich, daß sie in Gruppen und nach Farben geordnet waren. Nach allen Richtungen gingen Wege, daß jeder Stamm betrachtet werden konnte. Fast alle waren in Blüte, und der Anblick machte eine berauschende Wirkung.
»Da hast du ja alle Rosen, die wir in Biberau gesehen haben,« rief der Oheim, »nur in größerer Zahl, und noch andere dazu, vielleicht schon die, welche ich aus England verschrieben habe.«
»Es sind mir aus England, Holland, Belgien, Frankreich, Spanien und aus der Türkei Rosen gesendet worden«,
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