Werke
schlich auch ein Gerücht, er habe sich mit Dietwin geschlagen. Den Grund konnte niemand auch nur vermutungsweise angeben. Als dieses auch der Oheim erfuhr, sprach er mit Dietwin darüber. Dietwin aber antwortete: »Darüber, was ich von dieser Geschichte weiß, lieber Oheim, habe ich zu schweigen versprochen.«
Diese Antwort überbrachte der Oheim seiner Schwester, und es wurde in dem Schlosse Biberau jetzt nicht weiter von dieser Angelegenheit geredet.
Der Herbst und der Winter vergingen, wie der frühere Herbst und Winter vergangen war. Als wieder der vierundzwanzigste April gekommen war, gab Dietwin der Tante ein ganz besonderes Geschenk, ein Bild, welches einer der ersten Meister gemalt hatte. Es stellte das Schloß Biberau vor, und wurde auf tausend Taler geschätzt. Gerlint gab dem Oheime Vorhänge für die Fenster des Saales in Weiden, auf denen täuschend Glasmalerei nachgeahmt war. Die Tante und der Oheim hatten an den Geschenken eine außerordentliche Freude.
Als das Zwiegespräch dieses Tages zwischen dem Oheime und der Tante vorüber war, als alle Bewohner des Schlosses Biberau sich in ihre Schlafgemächer zurückgezogen hatten, saß die Tante in dem ihrigen an dem Tische und hielt ihr Haupt in den beiden Händen. Und als sie dann ihre Zofen gerufen und sich hatte entkleiden lassen, und als sie in ihrem Bette lag, und die Sterne durch manchen Teil der Fenster, der durch die Vorhänge nicht bedeckt war, herein schienen, konnte sie den ersehnten Schlummer nicht finden.
3
Da am nächsten Morgen die Sonne aufgegangen war, da man das Frühmahl verzehrt hatte, da in einer Zeit darauf der Oheim und Dietwin einen Spaziergang angetreten hatten, und Gerlint auf ihrem schwarzen Pferde rasch in die Felder ritt, ließ die Tante Auguste zu sich in ihr Gemach bitten. Als diese gekommen war, und man zwei Plätze an dem Tische eingenommen hatte, sagte die Tante: »Meine geliebte Auguste, meine Auguste, die mir immer teuer gewesen ist, erfülle mir heute eine Bitte, sei ganz rückhaltlos offen, du tust es zu keinem schlechten Zwecke.«
»Meine geliebte, verehrte Base,« antwortete Auguste, »ich weiß, daß du immer gütig gegen mich gewesen bist, daß du mich ohne mein Verdienst geliebt hast, ich habe es gefühlt, ich habe die Empfindungen der größten Dankbarkeit gegen dich gehegt, und ich habe dich deiner Eigenschaften willen im höchsten Maße verehrt und geliebt. Wenn du mir nun eine Gelegenheit gibst, dir dies alles durch die Tat beweisen zu können, so gewährest du mir ein Glück, für das ich dir wieder dankbar bin. Ich werde dir mit allen meinen Kräften zu Diensten sein, wenn ich es nämlich kann.«
»Vielleicht kannst du es nicht, mein Kind,« sagte die Tante, »vielleicht kannst du es nur wenig, wir wollen es versuchen, höre mich an. Gerlint ist nicht in dem Zustande, in dem sie war, als sie dieses Schloß betreten hatte. Sie ist sehr tätig, oft zu sehr, sie ergreift die fernsten Dinge, belehrt sich über Wirtschaftszweige, wie sonst Männer, kümmert sich um Angelegenheiten mancher Bewohner der Gegend, und ist wieder ernst, als schwiege sie immer, sie macht schnelle Ritte, und von allen, die ihr Aufmerksamkeiten erweisen, kann keiner sagen, daß er einen ermunternden Blick erhalten habe. Du, meine Auguste, hast gewählt, du wirst ein gutes Glück finden, und hast unsern Segen dazu.«
Auguste stand bei diesen Worten auf, und küßte der Tante die Hand.
Diese aber schloß sie in die Arme.
Darauf fuhr die Tante fort: »Mein Bruder und ich haben ber Gerlint gesprochen. Wir möchten gerne helfen, und renn du etwas Genaueres weißt und mitteilen darfst, so age es, und erhöhe die Mittel, wodurch vielleicht zu helfen ist.«
»Meine teure, meine hochgeehrte Base,« sagte Auguste, »Gerlint ist so lieb und so freundlich und so offen mit mir wie eine Schwester, wir teilen unsere Bestrebungen einander mit, wir teilen, was wir in Büchern lesen, wir teilen, was wir empfinden, und es ist nie die Bedingung gestellt worden, daß etwas verschwiegen werde. Ich darf dir also alles sagen, was ich von Gerlint weiß. Aber ich weiß nichts von ihr, als was du, und was der Oheim, und was alle sehen und alle wissen. Ich denke schon einige Zeit, daß Gerlint in einem befangenen Gemütszustande ist; aber nie hat die leiseste Äußerung etwas kundgetan. Als ich einmal von ihren Anbetern sprach, und von den jungen Männern, die das Haus besuchen, und auf eine ferne Verbindung deutete, sah sie mich mit ihren großen Augen
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