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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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Gangwörtern so, daß jeder seinen eigenen Sinn hinein legt. Das beste ist, daß die schaffende Kraft in der Regel nicht nach solchen aufgestellten Sätzen wirkt, sondern das Rechte trifft, weil sie die Kraft ist, und es desto sicherer trifft, je mehr sie sich auf ihrem eigentümlichen Wege naturgemäß ausbildet. Für das Verständnis der Kunst, für solche, welche ihre Werke beschauen und sich darüber besprechen, sind Auslegungen derselben Einkleidung ihres Wesens in Worte eine sehr nützliche Sache, nur muß man die Worte nicht zum Hauptgegenstande machen und auf einen Sinn, den man ihnen beilegt, nicht so bestehen, daß man alles verdammt, was nicht nachdiesem Sinne ist. Sonst müßte man ja den größten und einzigen Künstler am meisten tadeln, Gott, der so unzählige Gestaltungen erschaffen hat, und dessen Werke ja wirklich von Menschen untergeordneten Geistes getadelt werden, die meinen, sie hätten es anders gemacht.«
    Bei diesen Worten kam Gustav in den Saal. Die Dämmerung hatte schon stark zugenommen, es regnete aber noch Immer nicht.
    »Dieser steht noch auf demselben Stande, auf welchem Ihr früher gestanden seid«, sagte mein Gastfreund, auf Gustav weisend, der auf ihn zuging.
    »Wie meinst du das, Vater?« fragte der Knabe.
    »Wir redeten von Kunst,« antwortete mein Gastfreund, »und da behaupte ich, daß du noch nicht in der Lage bist, Kunstwerke so erkennen und beurteilen zu können wie unser Gast hier.«
    »Wohl, das behaupte ich selber,« sagte Gustav, »er ist darum auch teilweise mein Lehrer, und wenn er in der Erkenntnis der Kunst dir und Eustach und der Mutter nachstrebt, so werde ich meines Teils ihm wieder nachstreben.«
    »Das ist gut,« sagte mein Gastfreund, »aber das ist es nicht so ganz, wovon wir sprachen, allein es tut nichts zur Sache, und gehört auch nicht zur Wesenheit.«
    Mit diesen Worten, gleichsam um ferneren Fragen vorzubeugen, trat er an ein Fenster, und wir mit ihm.
    Wir betrachteten eine Weile die Erscheinung vor uns, die über dem immer dunkler werdenden Gefilde immer großartiger wurde, und gingen dann, da der Abend beinahe in Finsternis übergehen wollte, und die Stunde des Abendessens gekommen war, über die Marmortreppe in das Speisezimmer hinunter.
    Das Gewitter war in der Nacht ausgebrochen, hatte einen Teil derselben mit Donnern und einen Teil mit bloßem Regen erfüllt, und machte dann einem sehr schönen und heiteren Morgen Platz.
    Das erste, was ich an diesem Tage tat, war, daß ich zu dem marmornen Standbilde ging. Ich hatte es gestern, da wir über die Treppe hinabstiegen, nicht mehr deutlich und nur von einem Blitze oberflächlich beleuchtet gesehen. Die Finsternis war auf der Treppe schon zu groß gewesen. Heute stand es in der ruhigen und klaren Helle des Tages, welche das Glasdach auf die Treppe sendete, schmucklos und einfach da. Ich hatte nicht gedacht, daß das Bild so groß sei. Ich stellte mich ihm gegenüber und betrachtete es lange. Mein Gastfreund hatte recht, ich konnte keine eigentliche einzelne Schönheit entdecken, was wir im neuen Sinne Schönheit heißen, und ich erinnerte mich auf der Treppe sogar, daß ich oft von einem Buche oder von einem Schauspiele, ja von einem Bilde sagen gehört hatte, es sei voller Schönheiten, und dem Standbilde gegenüber fiel mir ein, wie unrecht entweder ein solcher Spruch sei, oder, wenn er berechtigt ist, wie arm ein Werk sei, das nur Schönheiten hat, selbst dann, wenn es voll von ihnen ist, und das nicht selber eine Schönheit ist; denn ein großes Werk, das sah ich jetzt ein, hat keine Schönheiten, und um so weniger, je einheitlicher und einziger es ist. Ich geriet sogar auf den Gedanken und auf die Erfahrung, die ich mir nie klar gemacht hatte, daß, wenn man sagt, dieser Mann, diese Frau habe eine schöne Stimme, schöne Augen, einen schönen Mund, eben damit zugleich gesagt ist, das andere sei nicht so schön; denn sonst würde man nicht einzelnes herausheben. Was bei einem lebenden Menschen gilt, dachte ich, gilt bei einem Kunstwerke nicht, bei welchem alle Teile gleich schön sein müssen, so daß keiner auffällt, sonst ist es eben als Kunstwerk nicht rein, und ist im strengsten Sinne genommen keines. Dessenohngeachtet, daß ich, oder vielmehr eben darum, weil ich keine einzelnen Schönheiten an dem Standbilde zu entdecken vermochte, machte es, wie ich mir jetzt ganz klar bewußt war, wieder einen außerordentlichen Eindruck auf mich.
    Der Eindruck war aber nicht einer, wie ich ihn öfter vor

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