Werke
da ich zu wenige Werke der Gegenwart kannte und so betrachtet hatte, als ich jetzt ältere Bilder betrachtete; aber es schien mir ein größeres Eingehen in das Wesen der Natur kaum möglich. Ich begriff nicht, wie ich das so lange nicht in dem Maße hatte sehen können, als ich es hätte sehen sollen. Wenn aber auch die Alten, wie ich hier mit ihnen umging, sich der Wirklichkeit sehr beflissen und sich ihr sehr hingaben, so ging das doch nicht so weit, als ich bei der Abbildung meiner naturwissenschaftlichen Gegenstände geschritten war, von denen ich alle Einzelheiten, so weit es nur immer möglich gewesen war, zu gehen gesucht hatte. Dies wäre, wie ich einsah, der Kunst hinderlich gewesen, und statt einen ruhigen Gesamteindruck zu erzielen, wäre sie in lauter Einzelheiten zerfallen. Die Meister, welche mein Gastfreund in seiner Sammlung besaß, verstanden es, das Einzelne der Natur in großen Zügen zu fassen und mit einfachen Mitteln – oft mit einem einzigen Pinselstrichedarzustellen, so daß man die kleinsten Merkmale zu erblicken wähnte, bei näherer Betrachtung aber sah, daß sie nur der Erfolg einer großen und allgemeinen Behandlung waren. Diese große Behandlung sicherte ihnen aber auch Wirkungen im Großen, die dem entgehen, welcher die kleinsten Gliederungen in ihren kleinsten Teilen bildet. Ich sah erst jetzt, welche schöne Gestalten aus dem menschlichen Geschlechte auf der Malerleinwand lebten, wie edel ihre Glieder sind, wie mannigfaltig – strahlend, kräftig, geistvoll, milde – ihr Antlitz, wie adelig ihre Gewänder, und wäre es eine Bettlerjacke, und wie treffend die Umgebung. Ich sah, daß die Farbe der Angesichter und anderer Teile das leuchtende Licht menschlicher Gestaltungen ist, nicht der Farbestoff, mit dem der Unkundige seinen Gebilden ein widriges Rot und Weiß gibt, daß die Schatten so tief gehen, wie sie die Natur zeigt, und daß die Umgebung eine noch größere Tiefe hat, wodurch jene Kraft erzielt wird, die sich der nähert, welche die Schöpfung durch wirklichen Sonnenschein gibt, den niemand malen kann, weil man den Pinsel nicht in Licht zu tauchen vermag, eine Kraft, die ich jetzt an den alten Bildern so bewunderte. Von der außermenschlichen Natur sah ich leuchtende Wolken, klare Himmelsgebilde, ragende reiche Bäume, gedehnte Ebenen, starrende Felsen, ferne Berge, helle dahinfließende Bäche, spiegelnde Seen und grüneWeiden, ich sah ernste Bauwerke, und ich sah das sogenannte stille Leben in Pflanzen, Blumen, Früchten, in Tieren und Tierchen. Ich bewunderte das Geschick und den Geist, womit alles zurechtgelegt und hervorgebracht ist. Ich erkannte, wie unsere Vorfahren Landschaften und Tiere malten. Ich erstaunte über den zarten Schmelz, womit einer mittelst Überfarben seinen Gebilden eine Durchsichtigkeit gab, oder über die Stärke, womit ein anderer undurchsichtige Farben hinstellte, daß sie einen Berg bildeten, der das Licht fängt und spiegelt, und es so zwingt, das Bild mit zu malen, zu dem ein Licht in dem Farbenkasten nicht war. Ich erkannte, wie der eine in durchsichtigen Farben untermalte und auf diese seine festen, körperigen Farben aufsetzte, oder wie ein anderer Farbe auf Farbe mit breitem Pinsel hinstellt und mit ihm die Übergänge vermittelt und mit ihm die Zeichnung umreißt. Daß alte Bilder düsterer sind, erschien mir einleuchtend, da das Öl die Farben nachdunkeln macht und der Firnis eine dunkle, bräunliche Farbe erhält. Beides haben umsichtige Meister mehr als voreilige zu vermeiden gewußt, und mein Gastfreund hatte Bilder, die in schöner Pracht und Farbenherrlichkeit leuchteten, obwohl auch bei ihnen die Würde bewahrt blieb, daß sie mehr die Kraft des Tones als auffallende oder etwa gar unwahre Farben brachten. Da ich schon viel mit Farben beschäftigt gewesen war, soverweilte ich oft lange bei einem Bilde, um zu ergründen, wie es gemalt ist, und auf welche Weise die Stoffe behandelt worden sind. In dem Rosenzimmerchen Mathildens, wohin mich mein Gastfreund führte, um auch dort die Bilder zu sehen, hingen vier kleine Gemälde, davon zwei von Tizian waren, eines von Dominichino und eines von Guido Reni. Sie waren an Größe fast gleich und hatten gleiche Rahmen. Sie waren die schönsten, die mein Gastfreund besaß. Je mehr man sie betrachtete, desto mehr fesselten sie die Seele.
Ich bat ihn fast zu oft, mir diese vier Bildchen zu zeigen, und er ermüdete nicht, mir immer die Frauengemächer aufzuschließen, mich in das Zimmerchen zu
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