Werke
Höheres zeigte, dessen Darstellung darüber hinausgeht, das uns erst die Züge und Mienen recht menschlich macht, und dessen Vergegenwärtigung ich nun anstrebe, in Ungewißheit, ob es gelingen werde oder nicht.
Sie fragte auch nach denjenigen von meinen wissenschaftlichen Bestrebungen, die ich im Zusammenhange aufgeschrieben habe, und ließ den Wunsch blicken, etwas Zusammengehöriges zu erfahren. Die Geschichte, wie unsere Erde entstanden sei, und wie sie sich bis auf die heutigen Tage entwickelt habe, müßte den größten Anteil erwecken. Ich entgegnete, daß wir nicht so weit seien, und daß ich am wenigsten zu denen gehöre, welche einen ergiebigen Stoff zu neuen Schlüssen geliefert haben, so sehr ich mich auch bestrebe, für mich und, wenn es angeht, auch für andere so viel zu fördern, als mir nur immer möglich ist. Wenn sie davon und auch von dem, was andere getan haben, Mitteilungen zu empfangen wünsche, ohne sich eben in die vorhandenen wissenschaftlichen Werke vertiefen und den Gegenstand als eigenen Zweck vornehmen zu wollen, so werde sich wohl Zeit und Gelegenheit finden. Sie zeigte sich zufrieden, und entließ mich mit jener Güte und Anmut, die ihr so eigen war.
Seit dieser Zeit verwandelte sich mein Verhältnis zu ihr in ein anderes. Da ich nun einmal unter Tags in ihrer Wohnung gewesen war, geschah dies öfter, entweder, wenn wir Werke oder Abbildungen anzuschauen hatten, wozu das Licht der abendlichen Lampen nicht ausreichend gewesen wäre, oder wenn sie mich zu Gesprächen einladen ließ, die dann gewöhnlich zwischen ihr, ihrer Gesellschafterin und mir vorfielen – selten geschah es, daß einer ihrer Söhne gelegentlich anwesend war oder eine Enkelin oder jemand von ihren näheren Anverwandten –, und bei denen meistens die Geschichte der Erde oder etwas in die Naturlehre Einschlägiges der Gegenstand war. Öfter machte ich auch selber einen kurzen Besuch, um mich um den Zustand ihrer Gesundheit zu erkundigen. Auch die Abende kamen in Bezug auf mich in eine andere Gestalt. Da wir einmal von Dichtungen geredet hatten, mit denen ich mich in der letzten Zeit beschäftigte, und da gerade diese Dichtungen aus einer vergangenen Zeit stammten, die nichts mit den Tageserzeugnissen gemein hatte, da die Fürstin sich in ihren jetzigen Jahren mit diesen Dingen nicht beschäftigte, und die Zeit schon ziemlich weit hinter ihr lag, in der sie Kenntnis von solchen Werken genommen hatte: so wurde beschlossen, wieder das eine oder das andere vorzunehmen und es gemeinschaftlich zu genießen. Das geschah an Abenden, und ich mußte oft die Pflicht des Vorlesers übernehmen, besonders wenn die Gesellschaft nicht zahlreich war, was sich gerne an Abenden ereignete, in denen Dichtungen vorgenommen wurden. In diese Pflicht geriet ich bei Gelegenheit der Vornahme einiger spanischen Romanzen. Die Fürstin, die Gesellschafterin, ich und noch ein Mann, welcher zugegen war, verstanden schlecht spanisch; doch war beschlossen worden, die Romanzen in spanischer Sprache zu lesen. Das Vorlesen wurde mir aufgetragen, und wie schlecht oder gut es ging, wir verstanden doch mit eingemischten Erklärungen und mit gelegentlichen Gesprächen in unserer Muttersprache zuletzt die Romanzen. Nach diesem Vorgange mußte ich nun auch öfter in deutscher Sprache vorlesen, und es geschah nicht selten, daß ich um meine Meinung über Teile des Gelesenen befragt wurde, unddaß man eine Erklärung verlangte. Dies wurde um so mehr der Fall, als wir uns auch über Abteilungen aus Cervantes und Calderon wagten. In andern Sprachen, besonders im Italienischen des Dante und Tasso, las sehr gerne die Gesellschafterin der Fürstin. Das Alte aus dem Griechischen es wurde nur die Ilias und Odysseus, dann einiges aus Äschylos vorgenommen – mußte ich ganz allein in deutscher Übersetzung vorlesen. Es wurde da auch sehr viel über das uralte gesellschaftliche Leben der Griechen, über ihre häuslichen Einrichtungen, über ihren Staat, ihre Kunst und über die Gestalt und Beschaffenheit ihres Landes und ihrer Meere gesprochen. Ich wurde zu diesen Beschäftigungen in diesem Winter weit öfter zu der Fürstin eingeladen, als es früher der Fall gewesen war. Der Frühling und die Zeit, in welcher man wieder den Landaufenthalt zu suchen pflegt, kam uns zu früh, wir verabredeten noch, was wir in dem nächsten Winter vorzunehmen gedächten, und die Fürstin beurlaubte mich mit vieler und sehr gewinnender Freundlichkeit.
Die Beschäftigungen im Kreise
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