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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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können; sie saß müßig auf dem Bänklein, und ihr Strohhut, den sie von dem Haupte genommen hatte, lag neben ihr in dem Grase.
    »Die Blumen pflücke ich,« fuhr sie nach einem Weilchen fort, »wenn sie bei Gelegenheit an dem Wege stehen. Hier herum ist meistens der Mohn, der aber wenig zu Sträußen paßt, weil er gerne die Blätter fallen läßt, dann sind die Kornblumen, die Wegnelken, die Glocken und andere. Oft pflücke ich auch keine Blumen, wenn sie noch so reichlich vor mir stehen.«
    Mir war es seltsam, daß ich mit Natalien allein unter der Esche der Felderrast sitze. Ihre Fußspitzen ragten in den Staub der vor uns befindlichen offenen Stelle hinaus, und der Saum ihrer Kleider berührte denselben Staub. In der Krone der Esche rührte sich kein Blättchen; denn die Luft war still. Weit vor uns hinabgehend und weit zu unserer Rechten und Linken hin so wie rückwärts war das grüne, der Reife entgegen harrende Getreide. Aus dem Saume desselben, der uns am nächsten war, sahen uns der rote Mohn und die blauen Kornblumen an. Die Sonne ging dem Untergange zu, und der Himmel glänzte an der Stelle, gegen die sie ging, fast weißglühend über die Saatfelder herüber, keine Wolke war, und das Hochgebirge stand rein und scharf geschnitten an dem südlichen Himmel.
    »Und habt Ihr bei dem roten Kreuze auch ein wenig geruht?« fragte ich nach einer Weile.
    »Bei dem roten Kreuze habe ich nicht geruht,« antwortete sie, »man kann dort nicht ruhen, es steht fast unter lauter Halmen des Getreides, ich lehnte mich mit einem Arme an seinen Stamm und sah auf die Gegend hinaus, auf die Felder, auf die Obstbäume und auf die Häuser der Menschen, dann wendete ich mich wieder um und schlug den Rückweg zu diesem Bänklein ein.«
    »Wenn heiterer Himmel ist und die Sonne scheint, dann ist es in der Weite schön«, sagte ich.
    »Es ist wohl schön,« erwiderte sie, »die Berge gehen wie eine Kette mit silbernen Spitzen dahin, die Wälder sind ausgebreitet, die Felder tragen den Segen für die Menschen, und unter all den Dingen liegt das Haus, in welchem die Mutter und der Bruder und der väterliche Freund sind; aber ich gehe auch an bewölkten Tagen auf den Hügel, oder an solchen, an denen man nichts deutlich sehen kann. Als Bestes bringt der Gang, daß man allein ist, ganz allein, sich selber hingegeben. Tut Ihr bei Euren Wanderungen nicht auch so, und wie erscheint denn Euch die Welt, die Ihr zu erforschen trachtet?«
    »Es war zu verschiedenen Zeiten verschieden«, antwortete ich; »einmal war die Welt so klar als schön, ich suchte manches zu erkennen, zeichnete manches, und schrieb mir manches auf. Dann wurden alle Dinge schwieriger, die wissenschaftlichen Aufgaben waren nicht so leicht zu lösen, sie verwickelten sich und wiesen immer wieder auf neue Fragen hin. Dann kam eine andre Zeit; es war mir, als sei die Wissenschaft nicht mehr das Letzte, es liege nichts daran, ob man ein Einzelnes wisse oder nicht, die Welt erglänzte wie von einer innern Schönheit, die man auf ein Mal fassen soll, nicht zerstückt, ich bewunderte sie, ich liebte sie, ich suchte sie an mich zu ziehen, und sehnte mich nach etwas Unbekanntem und Großem, das da sein müsse.«
    Sie sagte nach diesen Worten eine Zeit hindurch nichts; dann aber fragte sie: »Und Ihr werdet in diesem Sommer noch einmal in Euren Aufenthaltsort zurückkehren, den Ihr Euch jetzt zu Eurer Arbeit auserkoren habt?«
    »Ich werde in denselben zurück kehren«, antwortete ich.
    »Und den Winter bringt Ihr bei Euren lieben Angehörigen zu?« fragte sie weiter.
    »Ich werde ihn wie alle bisherigen in dem Hause meiner Eltern verleben«, sagte ich.
    »Und seid Ihr in dem Winter im Sternenhofe?« fragte ich nach einiger Zeit.
    »Wir haben ihn früher zuweilen in der Stadt zugebracht,« antwortete sie, »jetzt sind wir schon einige Male in dem Sternenhofe geblieben, und zwei Mal haben wir eine Reise gemacht.«
    »Habt Ihr außer Klotilden keine andere Schwester?« fragte sie, nachdem wir wieder ein Weilchen geschwiegen hatten.
    »Ich habe keine andere,« erwiderte ich, »wir sind nur zwei Kinder, und das Glück, einen Bruder zu besitzen, habe ich gar nie kennen gelernt.«
    »Und mir ist wieder das Glück, eine Schwester zu haben, nie zu Teil geworden«, antwortete sie.
    Die Sonne war schon untergegangen, die Dämmerung trat ein, und wir waren immer sitzen geblieben. Endlich stand sie auf und langte nach ihrem Hute, der in dem Grase lag. Ich hob denselben auf und reichte ihn

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