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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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werden, und alles wird sich zum Guten wenden.‹
    Sie hatte ausgesprochen, legte ihre schöne, freundliche Hand auf den Tisch, und sah mich an.
    ›Ihr seid ja so blaß wie eine getünchte Wand‹, sagte sie nach einem Weilchen.
    In meine Augen drangen einzelne Tränen, und ich antwortete: ›Jetzt bin ich ganz allein. Mein Vater, meine Mutter, meine Schwester sind gestorben.‹ Mehr konnte ich nicht sagen, meine Lippen bebten vor unsäglichem Schmerz.
    Sie stand auf, legte ihre Hand auf meinen Scheitel, und sagte unter Tränen mit ihrer lieblichen Stimme: ›Gustav, mein Sohn! du bist es ja immer gewesen, und ich kann einen besseren nicht wünschen. Geht jetzt beide den Weg eurer Ausbildung, und wenn dann einst euer gereiftes Wesen dasselbe sagt, was jetzt das wallende Herz sagt, dann kommt beide, wir werden euch segnen. Stört aber durch Fortspinnen, Steigern und vielleicht Abarten eurer jetzigen heftigen Gefühle nicht die euch so nötige letzte Entwicklung.‹
    Es war das erste Mal gewesen, daß sie mich du genannt hatte.
    Sie verließ mich und ging einige Schritte im Zimmer hin und wider.
    ›Verehrte Frau‹, sagte ich nach einer Weile, ›es ist nicht nötig, daß ich Euch morgen oder in diesen Tagen antworte; ich kann es jetzt sogleich. Was Ihr mir an Gründen gesagt habt, wird sehr richtig sein, ich glaube, daß es wirklich so ist, wie Ihr sagt; allein mein ganzes Innere kämpft dagegen, und wenn das Gesagte noch so wahr ist, so vermag ich es nicht zu fassen. Erlaubt, daß eine Zeit hierüber vergehe, und daß ich dann noch einmal durchdenke, was ich jetzt nicht denken kann. Aber eins ist es, was ich fasse. Ein Kind darf seinen Eltern nicht ungehorsam sein, wenn es nicht auf ewig mit ihnen brechen, wenn es nicht die Eltern oder sich selbst verwerfen soll. Mathilde kann ihre guten Eltern nicht verwerfen, und sie ist selber so gut, daß sie auch sich nicht verwerfen kann. Ihre Eltern verlangen, daß sie jetzt das geschlossene Band auflösen möge, und sie wird folgen. Ich will es nicht versuchen, durch Bitten das Gebot der Eltern wenden zu wollen. Die Gründe, welche Ihr mir gesagt habt, und welche in mein Wesen nicht eindringen wollen, werden in dem Eurigen fest haften, sonst hättet Ihr mir sie nicht so nachdrücklich gesagt, hättet sie mir nicht mit solcher Güte und zuletzt nicht mit Tränen gesagt. Ihr werdet davon nicht lassen können. Wir haben uns nicht vorzustellen vermocht, daß das, was für uns ein so hohes Glück war, für die Eltern ein Unheil sein wird. Ihr habt es mir mit Eurer tiefsten Überzeugung gesagt. Selbst wenn Ihr irrtet, selbst wennunsere Bitten Euch zu erweichen vermöchten, so würde Euer freudiger Wille, Euer Herz und Euer Segen mit dem Bunde nicht sein, und ein Bund ohne der Freude der Eltern, ein Bund mit der Trauer von Vater und Mutter müßte auch ein Bund der Trauer sein, er wäre ein ewiger Stachel, und Euer ernstes oder bekümmertes Antlitz würde ein unvertilgbarer Vorwurf sein. Darum ist der Bund, und wäre er der berechtigteste, aus, er ist aus auf so lange, als die Eltern ihm nicht beistimmen können. Eure ungehorsame Tochter würde ich nicht so unaussprechlich lieben können, wie ich sie jetzt liebe, Eure gehorsame werde ich ehren und mit tiefster Seele, wie fern ich auch sein mag, lieben, so lange ich lebe. Wir werden daher das Band losen, wie schmerzhaft die Lösung auch sein mag. – O Mutter, Mutter! – laßt Euch diesen Namen zum ersten und vielleicht auch zum letzten Male geben – der Schmerz ist so groß, daß ihn keine Zunge aussprechen kann? und daß ich mir seine Größe nie vorzustellen vermocht habe.‹
    ›Ich erkenne es‹, antwortete sie, ›und darum ist ja der Kummer, den ich und mein Gatte empfinden, so groß, daß wir unserem teuren Kinde und Euch, den wir auch lieben, die Seelenkränkung nicht ersparen können.‹
    ›Ich werde morgen Mathilden sagen‹, erwiderte ich, ›daß sie ihrem Vater und ihrer Mutter gehorchen müsse. Heute erlaubt mir, verehrte Frau, daß ich meine Gedanken etwas ordne – und daß ich auch noch andere Dinge ordne, die not tun.‹
    Die Tränen waren mir wieder in die Augen getreten.
    ›Sammelt Euch, lieber Gustav‹, sagte sie, ›und tut, was Ihr für gut haltet, sprecht mit Mathilden, oder sprecht auch nicht, ich schreibe Euch nichts vor. Es wird eine Zeit kommen, in der Ihr einsehen werdet, daß ich Euch nicht so unrecht tue, als Ihr jetzt vielleicht glauben mögt.‹
    Ich küßte ihr die Hand, die sie mir gütig

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