Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
Vom Netzwerk:
Gletschersilber; – doch weiß sie's nicht, und über ihr Haupt ist das schöne zarte Duftblau der Anmut ausgegossen. Natalie ist dasselbe, nur als sei es noch durchsichtiger, wie von einer Seesfläche zurückgespiegelt. In Wien, umgeben von den hunderttausend Lastern und Torheiten der Leute, war ich oft selbst nicht gut; in diesen Landschaften, unter diesen Menschen wird mein Wesen immer klarer und fester, und selbst der sanfte Schmerz, der noch immer in dem Herzen sitzt, steht verschönernd drinnen, wie jene Träne, die man oft mitten in Kristallen findet.
    Wenn es dem Doktor gelänge, Natalie zu gewinnen, so hat er in seiner Blindheit den Stein der Weisen gefunden. Er mag es fühlen; denn er wird immer scheuer gegen sie. Wir sind noch immer in Hallstadt, und es ist, als sollte das so fortwähren. Nicht eine Silbe sagte noch Natalie von Angela, und ich kerkere die Sache in meine Brust, wie in ein ehernes Schloß. – Lebe wohl! Morgen wieder zwei Zeilen.
     
    24. August
     
    Heute morgens nach neun Uhr saß ich mit dem Fernrohre auf dem Hallstädter Kirchhofe und sah hinunter auf den See. Er warf nicht eine einzige Welle, und die Throne um ihn ruhten tief und sonnenhell und einsam in seinem feuchten Grün – und ein Schiffchen glitt heran – einen schimmernden Streifen ziehend. – Ich richtete das Rohr darauf, und sah – es war, als träume ich – Aston mit seinen Mädchen sah ich. Fast ein Hinabstürzen war es von der Kirche in den Ort, und eben stiegen sie alle aus – der alte Herr in meine Arme, jubelnd, freudevoll Emma, lachend, sprang herbei und sagte, daß sie in ihrem ganzen Leben noch auf keinen Menschen so zornig gewesen sei, als auf mich – und Lucie reichte mir lächelnd die Hand, und schwieg und war freundlich wie immer. Sie sind in Ischl, und werden noch vier Wochen dort bleiben. Wir traten alle in die obere hölzerne Gaststube, die die Aussicht auf den See bietet, und nun ging es an ein Fragen und an ein Erzählen, und an ein Essen und Trinken – und kein Wort von ihr. Im Anschauen dieser geliebten Menschen und Freunde wurde mir Angela wieder so heiß lieb, wie in jenen schönen Tagen, ja, noch unendlich heißer und sehnsuchtsvoller; es ist, als könnte ich nicht leben, ohne sie nur einmal noch zu sehen. Jede Miene, jeder Laut, jeder Blick zog eine Reihe jener eingesunkenen Tage hervor, die so tief und so selig zurückstanden, als lägen schon Jahre dazwischen – aber heute kamen sie alle jene Tage, wieder, und standen so lieb und allbekannt vor meinem Herzen.
    Hundertmal wollte ich fragen, und hundertmal vermochte ich es nicht. Sie mußten mir es in den Augen lesen, aber keines erwähnte ihrer. Ja, als es endlich Abend geworden und sie alle abfuhren und mich recht freundlich nach Ischl einluden, überwältigte mich fast der Unmut; – ich ging auf unser Zimmer, und in tiefem Schmerze lehnte ich die Stirne an das Fensterkreuz und starrte hinunter. – Der letzte Abend verglomm auf den Bergeshäuptern, und an ihren schwarzen Wänden hing bereits die Nacht. »Ist Ihnen unwohl?« fragte eine unsäglich sanfte Stimme hinter mir. Emil war es, der schöne Mensch, und nie glichen seine Augen so sehr denen eines Engels. – »Nichts ist mir,« antwortete ich, »als ihr tut mir alle zu sehr weh.« – »Wir werden es nun nicht mehr tun!« sagte er sehr sanft, und bat mich, ihn auf einer Nachtfahrt auf dem See zu begleiten, und dort trug er mir das brüderliche Du an. Als wir zurückgekehrt waren, gab ich ihm mein Tagebuch, weil ich ihm von nun an völlige Offenheit schuldig zu sein glaubte.
     
    25. August
     
    Der gestrige Abend hat eine Folge gehabt, die alles löste. Natalie bat mich heute, sie ein wenig in das Strubtal zu begleiten; dort aber bat sie mich um Aufmerksamkeit, sie müsse mir etwas erzählen, das lang sei – und dann erzählte sie mir folgendes:
    »In den blutigsten Tagen der Französischen Revolution floh nebst vielen andern auch Eduard Morus, aus Boston gebürtig, weil ihm Gefahr drohte, aus Paris, wo er handelshalber ansässig war. Er ging nach Ostindien, wo er einen Bruder hatte, und wurde dort zum reichen Manne. Seine Frau gebar ihm, nach langer kinderloser Ehe, hintereinander vier Söhne und zwei Töchter; aber nur der älteste Sohn und die jüngste Tochter lebten. Der Knabe war zehn, das Mädchen zwei Jahre alt, als Morus starb. Die Mutter, eine Pariserin, konnte ihr Vaterland nicht vergessen; deshalb, mit Hilfe des Bruders ihres verstorbenen Gatten, machte sie ihre Habe

Weitere Kostenlose Bücher