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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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beweglich und ging nach Paris, das inzwischen ausgetobt hatte. Es war im Jahre 1817. Das neue Paris gefiel der alten Dame nicht mehr, und ein schönes Landhaus in den Cevennen sollte ihr Ruheplatz werden. Er wurde es; denn noch in demselben Sommer starb sie. Jetzt zog auch der Oheim sein Vermögen aus dem ostindischen Handel, und ging nach Frankreich auf dasselbe Landhaus und verwaltete auch die Habe seiner zwei Bruderskinder als Vormund.«
    »Der Knabe wurde bald mit einem Lehrer nach Paris getan, und das Mädchen erhielt eine Erzieherin. Als er zwölf Jahre alt war, geschah es, daß er mit seinem Erzieher auf der Reise nach dem Landhause in eine Schenke der Cevennen trat. Viele Leute gingen aus einer Kammer aus und ein und machten traurige Gesichter, und als er auch hineinging, sah er einen toten Mann liegen, mit jungem, blassem Gesichte und einer breiten Stirnwunde, aus der kein Blut mehr floß, und die sauber ausgewaschen war. Über den Leib war ein weißes Tuch gebreitet. Als er sich erschrocken wegwendete, sah er auf einer zweiten Bank eine Frau liegen, bis auf die Brust zugedeckt; diese aber und das Angesicht waren weiß wie Wachs und wunderschön, nur in der Gegend des Herzens war ein roter Fleck, wo, wie sie sagten, die Bleikugel hineingegangen sei. Was aber den Knaben zumeist jammerte, war ein etwa zweijähriges Kind, das bei der Frau saß und fortwährend die weißen Wangen streichelte. Des Morgens hatte man sie etwa eine halbe Meile tiefer im Walde bei einem umgestürzten und geplünderten Wagen gefunden. Das Mädchen sei unverletzt unter einem Haufen schlechter Kleider gelegen, und hatte ein sehr kleines goldnes Kreuzchen um den bloßen Hals hängen.«
    »Angela!« rief ich –
    »Ja, unsere Angela!« erwiderte sie, und fuhr fort: »Emil ging zu dem Mädchen und liebkoste es; da lächelte ihn die Kleine an und sagte Laute, die nicht französisch waren. Der Knabe begehrte das Kind mitzunehmen, und da man ihn und seinen Oheim kannte, so ward sie ihm ohne weiteres überlassen, bis sie von ihren Angehörigen jemand zurückfordere. So brachten die zwei Männer das Kind auf das Landbaus. Nie hat sich aber jemand mehr um die Waise gemeldet. Sie ward sofort meine Gespielin und der Liebling Emils. So oft er auf Besuch da war, der oft Monate dauerte, lehrte er sie Buchstaben kennen, Bluten und Falter nennen, und erzählte ihr Märchen. Sie horchte gern auf ihn und begriff wunderähnlich, und liebte ihn auch am meisten. Dann sagte er ihr von fernen ändern, in denen er geboren worden, und von den schönen Menschen, die dort wohnen. Auf einmal verlangte er über nach Ostindien. Alle Werke über dieses Land, die habhaft werden konnte, las er durch und entzündete sich immer mehr und mehr, ja, als er im nächsten Jahre von Paris kam, redete er zum Erstaunen des Oheims ziemlich gut die Sprache der Bramanen. In demselben Ihre starb ein Handelsfreund in Calcutta, und dies machte eine Reise des Oheims nach Indien nötig. Emil jauchzte über den Tod des unbekannten Freundes, weil er mitdurfte. Die Mädchen kamen unter die Obhut der Tante.«
    »Sechs Jahre blieb er aus, und als er zurückkam, war er ein Mann, stark und gütig. Auch das unscheinbare Kräutlein, Angela, war eine schöne Wunderblume geworden, so daß er betreten war bei ihrem Anblicke. Wir siedelten damals nach Wien über. Er unternahm nun ausschließlich unsere Erziehung, und erzog sich selbst dabei. Er fing die Wissenschaften an, und dichtete uns nebenbei indische Märchen vor, voll fremden Dufts und fremder Farben. Er predigte und lehrte nie, sondern sprach nur und erzählte uns, und gab uns Bücher. Wir lernten trotz Männern. Die Dichter las er vor. So wurden wir uns nach und nach, wie die Jahre vergingen, immer gleicher, und für Europa eine Art fremdländischer Schaustücke – aber das Herz, die Seele, glaube ich, hat er an den rechten Ort gestellt – nun, Sie kennen ja jetzt alle drei. Einmal ging er wieder fort, und war zwei Jahre in Amerika. Als er zurückkam und Angela wieder herrlicher und schöner fand; so erkor er sie zu seiner Braut; aber er sagte nichts zu ihr, sondern beschloß, daß sie nun noch mehr als früher unter Männer, wo möglich bedeutsame, käme und etwa frei wähle. – Indes begann er sie immer mehr und mehr zu lieben, ja, er lebte recht eigentlich um ihretwillen – sie liebte ihn auch unter allen Dingen dieser Erde am meisten; aber Emil behauptete immer, sie liebe ihn als Bruder. Da ihm ihr Glück das Höchste war, so wollte

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