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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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blitzendem, unbewußtem Glanze die pechschwarzen Augen, voll Liebe und Kühnheit, und reichlich zeigend jenes gefahrvolle Element, was ihm geworden und in der Haideeinsamkeit zu sprossen begann, eine dunkle, glutensprühige Phantasie. Um die Stirne war eine Wildnis dunkelbrauner Haare, kunstlos den Winden der Fläche hingegeben. Wenn es mir erlaubt wäre, so würde ich meinen Liebling vergleichen mit jenem Hirtenknaben aus den heiligen Büchern, der auch auf der Haide vor Bethlehem sein Herz fand, und seinen Gott und die Träume der künftigen Königsgröße. Aber so ganz arm, wie unser kleiner Freund, war jener Hirtenknabe gewiß nicht; denn des ganzen lieben Tages Länge hatte er nichts, als ein tüchtig Stück schwarzen Brotes, wovon er unbegreiflicher Weise seinen blühenden Körper und den noch blühendem Geist nährte, und ein klares, kühles Wasser, das unweit des Roßberges vorquoll, ein Brünnlein füllte, und dann flink längs der Haide forteilte, um mit andern Schwestern vereint jenem fernen Moore zuzugehen, dessen wir oben gedachten. Zu guten Zeiten waren auch ein oder zwei Ziegenkäse in der Tasche. Aber ein Nahrungsmittel hatte er in einer Güte und Fülle, wie es der überreichste Städter nicht aufweisen kann, einen ganzen Ozean der heilsamsten Luft um sich, und eine Farbe und Gesundheit reifende Lichtfülle über sich. Abends, wenn er heim kam, wohin er sehr weit hatte, kochte ihm die Mutter eine Milchsuppe, oder einen köstlichen Brei aus Hirse. Sein Kleid war ein halbgebleichtes Linnen. Weiter hatte er noch einen breiten Filzhut, den er aber selten auftat, sondern meistens in seinem Schlosse an einen Holznagel hing, den er in die Felsenritze geschlagen hatte.
    Dennoch war er stets lustig und wußte sich oft nicht zu halten vor Frohsinn. Von seinem Königssitze aus herrschte er über die Haide. Teils durchzog er sie weit und breit, teils saß er hoch oben auf der Platte oder Rednerbühne, und so weit das Auge gehen konnte, so weit ging die Phantasie mit, oder sie ging noch weiter und überspann die ganze Fernsicht mit einem Fadennetze von Gedanken und Einbildungen, und je länger er saß, desto dichter kamen sie, so daß er oft am Ende selbst ohnmächtig unter dem Netze steckte. Furcht der Einsamkeit kannte er nicht; ja, wenn recht weit und breit kein menschliches Wesen zu erspähen war und nichts als die heiße Mittagsluft längs der ganzen Haide zitterte, dann kam erst recht das ganze Gewimmel seiner innern Gestalten daher und bevölkerte die Haide. Nicht selten stieg er dann auf die Steinplatte und hielt sofort eine Predigt und Rede unten standen die Könige und Richter, und das Volk und die Heerführer, und Kinder und Kindskinder, zahlreich wie der Sand am Meere; er predigte Buße und Bekehrung – und alle lauschten auf ihn; er beschrieb ihnen das Gelobte Land, verhieß, daß sie Heldentaten tun würden, und wünschte zuletzt nichts sehnlicher, als daß er auch noch ein Wunder zu wirken vermachte. Dann stieg er hernieder und führte sie an, in die fernsten und entlegensten Teile der Haide, wohin er wohl eine Viertelstunde zu gehen hatte – zeigte ihnen nun das ganze Land der Väter, und nahm es ein mit der Schärfe des Schwertes. Dann wurde es unter die Stämme ausgeteilt und jedem das seinige zur Verteidigung angewiesen.
    Oder er baute Babylon, eine furchtbare und weitläufige Stadt – er baute sie aus den kleinen Steinen des Roßberges, und verkündete den Heuschrecken und Käfern, daß hier ein gewaltiges Reich entstehe, das niemand überwinden kann, als Cyrus, der morgen oder übermorgen kommen werde, den gottlosen König Belsazar zu züchtigen, wie es ja Daniel längst vorher gesagt hat.
    Oder er grub den Jordan ab, das ist den Bach, der von der Quelle floß, und leitete ihn anderer Wege – oder er tat das alles nicht, sondern entschlief auf der offenen Fläche und ließ über sich einen bunten Teppich der Träume weben. Die Sonne sah ihn an und lockte auf die schlummernden Wangen eine Röte, so schön und so gesund, wie an gezeitigten Äpfeln, oder so reif und kräftig, wie an der Lichtseite vollkörniger Haselnüsse, und wenn sie endlich gar die hellen großen Tropfen auf seine Stirne gezogen hatte, dann erbarmte ihr der Knabe, und sie weckte ihn mit einem heißen Kusse.
    So lebte er nun manchen Tag und manches Jahr auf der Haide, und wurde größer und stärker, und in das Herz kamen tiefere, dunklere und stillere Gewalten, und es ward ihm wehe und sehnsüchtig – und er wußte

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