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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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ist zu früh und zu kühl!«
    »Nicht auf die Haide gehe ich, Großmutter, sondern weit fort in das Land, um zu lernen und tüchtig zu werden, wie ich es Euch ja gestern alles gesagt habe.«
    »Ja, du sagtest es,« erwiderte sie, »du sagtest es, mein Kind – ich habe dich mit Schmerzen geboren, aber dir auch Gaben gegeben, zu werden wie einer der Propheten und Seher – ziehe mit Gott, aber komme wieder, Jacobus!«
    Jacobus hatte ihr Sohn geheißen, der auch einmal fortgegangen, vor mehr als sechzig Jahren, aber nie wieder zurückgekehrt war.
    »Mutter,« sagte er noch einmal, »gebt mir Eure Hand.«
    Sie gab sie ihm; er schüttelte sie und sagte: »Lebt wohl, lebt wohl.«
    »Amen, Amen«, sagte sie, als hörte sie zu beten auf.
    Dann wandte sich der Knabe gegen die Eltern; das Herz war ihm so sehr emporgeschwollen – er sagte nichts, sondern mit eins hing er am Halse der Mutter, und sie, heiß weinend, küßte ihn auf beide Wangen und schob ihm noch ein Geldstück zu, das sie einst als Patengeschenk empfangen und immer aufgehoben hatte, allein er nahm es nicht. Dem Vater reichte er bloß die Hand, weil er sich nicht getraute, ihn zu umarmen. Dieser machte ihm ein Kreuz auf die Stirne, auf den Mund und die Brust, und als hierbei seine rauhe Hand zitterte und um den harten Mund ein heftiges Zucken ging, da hielt sich der Knabe nicht mehr. Mit einem Tränengusse warf er sich an die Brust des Vaters, und dessen linker Arm umkrampfte ihn eine Sekunde, dann ließ er ihn los und schob ihm wortlos gegen die Haide. Die Mutter aber rief ihn noch einmal und sagte, er möge doch auch das kleine Schwesterchen gesegnen, die man in ihrem Bettlein ganz vergessen habe. Drei Kreuze machte er über den schlafenden Engel, dann schritt er schnell hinaus und ging trotzig vorwärts gegen die Haide.
    So ziehe mit Gott, du unschuldiger Mensch, und bringe nur das Kleinod wieder, was du so leichtsinnig fortträgst!
    Als er an den Roßberg gekommen, ging die Sonne auf und schaute in zwei treuherzige, zuversichtliche, aber rotgeweinte Augen. Am Haidehause spiegelte sie sich in den Fenstern und an der Sense des Vaters, der mähen ging.

3. Das Haidedorf
    Des ersten Abends war es öde und verlassen, und den beiden Eltern tat das Herz weh, als sie in der Dämmerung des Sommers zu Bette gingen und auf seine leere Schlafstelle sahen Um denselben Menschen, der vielleicht eben jetzt noch auf dürrer Heerstraße wanderte und von keinem beachtet, ja von den meisten verachtet wurde, brachen fast zwei naturrohe Herzen im entlegenen Haidehause, daß sie ihn von nun an, vielleicht auf immer entbehren sollten; aber sie drückten den Schmerz in sich, und jedes trug ihn einsam, weil es zu schamhaft und unbeholfen war, sich zu äußern.
    Aber es kam ein zweiter Tag, und ein dritter, und ein vierter, und jeder spannte denselben glänzenden Himmelsbogen über die Haide, und funkelte nieder auf die Fenster und das altergraue Dach des Hauses eben so freundlich und lieblich, wie als er noch da gewesen war.
    Und dann kamen wieder Tage und wieder.
    Die Arbeit und Freude des Landmanns, durch Jahrtausende einförmig und durch Jahrtausende noch unerschöpft, zog auch hier geräuschlos und magisch ein Stück ihrer uralten Kette durch die Hütte, und an jedem ihrer Glieder hing ein Tröpflein Vergessenheit.
    Die Großmutter trug nach wie vor ihren Holzschemel auf die Wiese und betete daran, und sie und klein Marthe fragten täglich, wann denn Felix komme. Der Vater mähete Roggen und Gerste – die Mutter machte Käse und band Garben – und der fremde Ziegenbube trieb täglich auf die Haide. Von Felix wußte man nichts.
    Die Sonne ging auf, und ging unter, die Haide wurde weiß, und wurde grün, der Holunderbaum und der Apfelbaum blüheten vielmal – klein Marthe war groß geworden, und ging mit, um zu heuen und zu ernten, aber sie fragte nicht mehr, – und die Großmutter, ewig und unbegreiflich hinaus lebend, wie ein vom Tode vergessener Mensch, fragte auch nicht mehr, weil er ihr entfallen war, oder sich zu ihren heimlichen Phantasiegestalten gesellt hatte.
    Die Felder des Haidebauers besserten sich nachgerade, als ob der Himmel seine Einsamkeit segnen und ihm vergelten wollte, und es wurde ihm so gut, daß er schon manchen Getreidesack aufladen und mit schönen Ochsen fortführen konnte, wofür er dann einige Taler Geldes und Neuigkeiten von der Welt draußen heimbrachte. Einmal kam auch ein Schreinergeselle mit seinem Wanderpacke zu Vater Niklas, dem Haidebauer,

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