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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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ihn von der Hinterseite, und fanden wirklich hier den seltsamsten Haushalt: es lief ein langer, schmaler Glasgang mit erblindeten regenbogigen Scheiben längs des Gebäudes, und aus einigen zerbrochenen Scheiben desselben wogte es von Bienen aus und ein, und so viel man durch das trübe Glas erkennen machte, war der Gang, insbesondere die Nischen, abenteuerlich mit riesenhaften Waben bebaut, und die allergrößte Tätigkeit herrschte fort, daß es einem ordentlich im Kopfe wirrte und schwirrte, je länger man dem Treiben dieses Knäuels von Republiken zusah, an einem zu solchem Haushalte so unpassenden und ungewöhnlichen Orte.
    »Die Nonnen hatten sonst den Gang zum Lustwandeln gehabt« sagte Ruprecht, »aber das ist nun nicht mehr möglich, weil sie tot sind, und wir können auch nicht dort gehen, wegen der Bienen; ich werde aber öffnen, wo wir durch die Zellen der heiligen Frauen kommen. – Im Winter gebe ich dem kleinen Geflügel immer Stroh; Graf Christoph nahm ihnen noch Honig, denn er war ihr Herr; aber ich lasse sie fortbauen, und es sind schon manche Schwärme in die Fichtau hinausgeflogen, weil sie meinten, es sei hier zu enge, oder weil sie taten, wie die Jugend überhaupt zu tun pflegt. Da die Frau Gräfin Hermenegild, als ihr Herr, Ubaldus, im heiligen Kriege gefallen war, die Zellen eingerichtet und die heiligen Frauen zur Anbetung Gottes berufen hat, dachte sie nicht, daß in den schönen Glasgang diese Bewohner kommen würden – – ja damals sind sie gewandelt und haben kunstreiche Arbeiten gemacht, die noch alle im roten Saale aufbewahrt sind; aber weil die Zellen nicht von dem Heiligen Vater geweiht waren, so wurde es nach dem Tode der Frau Gräfin untersagt, daß sie weiter bestehen; und die letzte der Nonnen starb, da mein Urgroßvater ein Kind war. Er ist auch Kastellan gewesen.«
    Und bei diesen Worten hatte er ein Tor am Ende des Glasganges geöffnet, und führte sie nun durch Zellen und Gemächer, durch Refektorium und Sprechsaal – und sie sahen all das dumpfe, bestaubte Geräte, die schwarzen Bilder, die blinden Fenster und die zerfetzten Tapeten der Nonnen.
    Gegen Ende dieser Dinge, wo wieder die andern Gemächer des Hauses beginnen, war einiges in Schutt, und allerlei Gänge öffneten ihre Höhlen. Hier sagte Ruprecht heimlich zu Heinrich, er sollte mit ihm gehen; denn er müsse ihm allein etwas zeigen. Heinrich zauderte anfangs ein wenig, aber durch Robert ermutigt folgte er dem Alten. Dieser gab in Miene und Bewegung alle Zeichen der höchsten Freude zu erkennen, führte ihn Trepp auf, Trepp ab, sperrte Türen auf und zu, machte endlich am Ende eines verfallenen Ganges Licht, und stieg mit ihm eine Wendelstiege hinab. Dort öffnete er ein äußerst kleines Türlein und führte Heinrich hinein: und siehe, da lag weithin Faß an Faß, der Greis in höchster Freude und Befriedigung zeigte darauf und sagte: »Ich habe das alles bewahrt; der große Eingang ist verschüttet, und diese Treppe wußten sie nicht, da sie kamen, alles zu beschauen. – Ich allein habe den Wein gepflegt, und pflege ihn noch; ich trinke keinen Tropfen – gebt mir nur ein wenig, wenn ich alt und krank werde – ich zeige dem andern, der mit Euch ist, nichts, denn sie wollen unser Eigentum verzetteln, und ich hätte ihn auch gar nicht in das Schloß gelassen, wenn nicht
Ihr
mit ihm gewesen wäret«, und bei diesen Worten brach er in ein kindisches Schluchzen aus, und ehe es Heinrich hindern konnte, hatte er sich niedergebückt und dessen rechte Hand geküßt, indem er lallend und bittend sprach: »Seid nur nicht mehr zornig, nun ist ja Bertha längst gestorben und sehet, ich habe für alles und alles gesorgt und es gehütet wie mein eigenes Herz. O, ich habe unsäglich viel ausgestanden.«
    Heinrich konnte seine äußerste Erschütterung nicht bergen, und der Gedanke, der in seinem tiefsten Innern saß, die fast unglaubliche Ahnung, die ihn hieher geführt, die Ahnung, die er nicht einmal seinem Freunde zu offenbaren gewagt, schien sich hier an dem Wahnwitze eines alten Mannes zu verkörpern und zu offenbaren.
    ›Wenns ist‹, dachte er, ›wenns ist- –!‹
    Er zitterte fast, nur um ein Haar breit in der verdunkelten Seele des andern weiter zu forschen, um sie nicht noch tiefer zu zerrütten. Die Verrückung jener Gesetze, auf deren Dasein im Haupte jedes andern man mit Zuversicht baut, als des einzigen, was er untrüglich mit uns gemein hat, trägt etwas so Grauenhaftes an sich, daß man sich nicht getraut,

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