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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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seine Helden den Soldaten zur Tapferkeit ermuntern, oder in dem Kriegsrate eine Beratschlagung anheben läßt; so oft ist auch der Anfang ihrer Rede: höret, was ich vortragen werde, und überlegt es! Zum Exempel in der Odyssee:
    Κεκλψτε δὲ νψν μευ, Ιτηακέσιοι, ηοττι κεν ειπὸ.
    Und darauf folgt denn auch oft:
    Οσ επηατη᾽ ηοι δ᾽ αρα του μαλα μαν κλψον, ὲδ᾽ επιτηοντο.
    das ist: so sprach er, und sie gehorchten dem, was sie gehöret hatten.
    Chrysander
. Gehorchten sie ihm? Nu, das ist vernünftig! Homer mag doch wohl kein Narr sein. Sieh zu, daß ich von dir auch widerrufen kann. Denn wieder zur Sache: ich kenne, mein Sohn –
    Damis
. Einen kleinen Augenblick Geduld, Herr Vater! Ich will mich nur hinsetzen, und diese Anmerkung aufschreiben.
    Chrysander
. Aufschreiben? was ist hier aufzuschreiben? Wem liegt daran, ob das Sprüchelchen aus dem Homer, oder aus dem Gesangbuche ist?
    Damis
. Der gelehrten Welt liegt daran; meiner und Homers Ehre lieget daran! Denn ein halb Hundert solche Anmerkungen machen einen Philologen. Und sie ist neu, muß ich Ihnen sagen, sie ist ganz neu.
    Chrysander
. So schreib sie ein andermal auf.
    Damis
. Wenn sie mir aber wieder entfiele? Ich würde untröstlich sein. Haben Sie wenigstens die Gütigkeit, mich wieder daran zu erinnern.
    Chrysander
. Gut, das will ich tun; höre mir nur jetzt zu. Ich kenne, mein Sohn, ein recht allerliebstes Frauenzimmer; und ich weiß, du kennst es auch. Hättest du wohl Lust – –
    Damis
. Ich soll ein Frauenzimmer, ein liebenswürdiges Frauenzimmer kennen? O, Herr Vater, wenn das jemand hörte, was würde er von meiner Gelehrsamkeit denken? – – Ich ein liebenswürdiges Frauenzimmer? – –
    Chrysander
. Nun wahrhaftig; ich glaube nicht, daß ein Gastwirt so erschrecken kann, wenn man ihm Schuld gibt, er kenne den oder jenen Spitzbuben, als du erschrickst, weil du ein Frauenzimmer kennen sollst. Ist denn das ein Schimpf?
    Damis
. Wenigstens ist es keine Ehre, besonders für einen Gelehrten. Mit wem man umgeht, dessen Sitten nimmt man nach und nach an. Jedes Frauenzimmer ist eitel, hoffärtig, geschwätzig, zänkisch und Zeitlebens kindisch, es mag so alt werden, als es will. Jedes Frauenzimmer weiß kaum, daß es eine Seele hat, um die es unendlich mehr besorgt sein sollte, als um den Körper. Sich ankleiden, auskleiden, und wieder anders ankleiden; vor dem Spiegel sitzen, seinen eignen Reiz bewundern; auf ausgekünstelte Mienen sinnen; mit neugierigen Augen müßig an dem Fenster liegen: unsinnige Romane lesen, und aufs höchste zum Zeitvertreibe die Nadel zur Hand nehmen: das sind seine Beschäftigungen; das ist sein Leben. Und Sie glauben, daß ein Gelehrter, ohne Nachteil seines guten Namens, solche närrische Geschöpfe weiter, als ihrer äußerlichen Gestalt nach, kennen dürfe?
    Chrysander
. Mensch, Mensch! deine Mutter kehret sich im Grabe um. Bedenke doch, daß sie auch ein Frauenzimmer war! Bedenke doch, daß die Dinger von Natur nun einmal nicht anders sind! Ob schon, wie wir Lateiner zu reden pflegen, nulla regula sine exceptione. Und so eine Exzeption, ist sicherlich das Mädchen, das ich jetzt im Kopfe habe, und das du kennst. – –
    Damis
. Nein, nein! ich schwöre es Ihnen zu: unsere Muhmen ausgenommen, und Julianen –
    Chrysander
. Und Julianen? bene! –
    Damis
. Und ihr Mädchen ausgenommen, kenn ich kein einziges Weibsbild. Ja, der Himmel soll mich strafen, wenn ich mir jemals in den Sinn kommen lasse, mehrere kennen zu lernen!
    Chrysander
. Je nun, auch das! wie du willst! Genug, Julianen die kennst du.
    Damis
. Leider!
    Chrysander
. Und eben Juliane ist es, über die ich deine Gedanken vernehmen möchte. – –
    Damis
. Über Julianen? meine Gedanken über Julianen? O Herr Vater, wenn Sie noch meine Gedanken über Erinnen, oder Corinnen, über Telesillen oder Praxillen verlangten – –
    Chrysander
. Schock tausend! was sind das für Illen? Den Augenblick schwur er, er kenne kein Frauenzimmer, und nun nennt er ein halb Dutzend Menscher. –
    Damis
. Menscher? Herr Vater.
    Chrysander
. Ja, Herr Sohn, Menscher! Die Endung gibts gewiß nicht? Netrix, Lotrix, Meretrix. –
    Damis
. Himmel, Menscher! griechische berühmte Dichterinnen Menscher zu nennen! – –
    Chrysander
. Ja, ja, Dichterinnen! das sind mir eben die rechten. Lotrix, Meretrix, Poetrix – –
    Damis
. Poetrix! O wehe, meine Ohren! Poetria müßten Sie sagen; oder Poetris

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