Werke
zurückholen; sie muß ihren Leidenschaften das Ansehen der Vernunft, stürmischen Ausbrüchen den Schein vorbedächtlicher Entschließungen geben zu wollen scheinen.
Jenes erfodert einen erhabnen und begeisterten Ton; dieses einen gemäßigten und feierlichen. Denn dort muß das Raisonnement in Affekt entbrennen, und hier der Affekt in Raisonnement sich auskühlen.
Die meisten Schauspieler kehren es gerade um. Sie poltern in heftigen Situationen die allgemeinen Betrachtungen eben so stürmisch heraus, als das Übrige; und in ruhigen, beten sie dieselben eben so gelassen her, als das Übrige. Daher geschieht es denn aber auch, daß sich die Moral weder in den einen, noch in den andern bei ihnen ausnimmt; und daß wir sie in jenen eben so unnatürlich, als in diesen langweilig und kalt finden. Sie überlegten nie, daß die Stückerei von dem Grunde abstechen muß, und Gold auf Gold brodieren ein elender Geschmack ist.
Durch ihre Gestus verderben sie vollends alles. Sie wissen weder, wenn sie deren dabei machen sollen, noch was für welche. Sie machen gemeiniglich zu viele, und zu unbedeutende.
Wenn in einer heftigen Situation die Seele sich auf einmal zu sammeln scheinet, um einen überlegenen Blick auf sich, oder auf das, was sie umgibt, zu werfen; so ist es natürlich, daß sie allen Bewegungen des Körpers, die von ihrem bloßen Willen abhangen, gebieten wird. Nicht die Stimme allein wird gelassener; die Glieder alle geraten in einen Stand der Ruhe, um die innere Ruhe auszudrücken, ohne die das Auge der Vernunft nicht wohl um sich schauen kann. Mit eins tritt der fortschreitende Fuß fest auf, die Arme sinken, der ganze Körper zieht sich in den waagrechten Stand; eine Pause – und dann die Reflexion. Der Mann steht da, in einer feierlichen Stille, als ob er sich nicht stören wollte, sich selbst zu hören. Die Reflexion ist aus, – wieder eine Pause – und so wie die Reflexion abgezielet, seine Leidenschaft entweder zu mäßigen, oder zu befeuern, bricht er entweder auf einmal wieder los oder setzet allmählig das Spiel seiner Glieder wieder in Gang. Nur auf dem Gesichte bleiben, während der Reflexion, die Spuren des Affekts; Miene und Auge sind noch in Bewegung und Feuer; denn wir haben Miene und Auge nicht so urplötzlich in unserer Gewalt, als Fuß und Hand. Und hierin dann, in diesen ausdrückenden Mienen, in diesem entbrannten Auge, und in dem Ruhestande des ganzen übrigen Körpers, bestehet die Mischung von Feuer und Kälte, mit welcher ich glaube, daß die Moral in heftigen Situationen gesprochen sein will.
Mit eben dieser Mischung will sie auch in ruhigen Situationen gesagt sein; nur mit dem Unterschiede, daß der Teil der Aktion, welcher dort der feurige war, hier der kältere, und welcher dort der kältere war, hier der feurige sein muß. Nämlich: da die Seele, wenn sie nichts als sanfte Empfindungen hat, durch allgemeine Betrachtungen diesen sanften Empfindungen einen höhern Grad von Lebhaftigkeit zu geben sucht, so wird sie auch die Glieder des Körpers, die ihr unmittelbar zu Gebote stehen, dazu beitragen lassen; die Hände werden in voller Bewegung sein; nur der Ausdruck des Gesichts kann so geschwind nicht nach, und in Miene und Auge wird noch die Ruhe herrschen, aus der sie der übrige Körper gern heraus arbeiten möchte.
{ ‡ }
Viertes Stück
Den 12ten Mai, 1767
Aber von was für Art sind die Bewegungen der Hände, mit welchen, in ruhigen Situationen, die Moral gesprochen zu sein liebet?
Von der Chironomie der Alten, das ist, von dem Inbegriffe der Regeln, welche die Alten den Bewegungen der Hände vorgeschrieben hatten, wissen wir nur sehr wenig; aber dieses wissen wir, daß sie die Händesprache zu einer Vollkommenheit gebracht, von der sich aus dem was unsere Redner darin zu leisten im Stande sind, kaum die Möglichkeit sollte begreifen lassen. Wir scheinen von dieser ganzen Sprache nichts als ein unartikuliertes Geschrei behalten zu haben; nichts als das Vermögen, Bewegungen zu machen, ohne zu wissen, wie diesen Bewegungen eine fixierte Bedeutung zu geben, und wie sie unter einander zu verbinden, daß sie nicht bloß eines einzeln Sinnes, sondern eines zusammenhangenden Verstandes fähig werden.
Ich bescheide mich gern, daß man, bei den Alten, den Pantomimen nicht mit dem Schauspieler vermengen muß. Die Hände des Schauspielers waren bei weiten so geschwätzig nicht, als die Hände des Pantomimens. Bei diesem vertraten sie die Stelle der Sprache; bei jenem sollten sie
Weitere Kostenlose Bücher