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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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Schwester Rodogune er sich vermählte. Inzwischen bemächtigte sich Diodotus, der den vorigen Königen gedienet hatte, des syrischen Thrones, und erhob ein Kind, den Sohn des Alexander Nothus, darauf, unter dessen Namen er als Vormund anfangs die Regierung führte. Bald aber schaffte er den jungen König aus dem Wege, setzte sich selbst die Krone auf, und gab sich den Namen Tryphon. Als Antiochus, der Bruder des gefangenen Königs, das Schicksal desselben, und die darauf erfolgten Unruhen des Reichs, zu Rhodus, wo er sich aufhielt, hörte, kam er nach Syrien zurück, überwand mit vieler Mühe den Tryphon, und ließ ihn hinrichten. Hierauf wandte er seine Waffen gegen den Phraates, und foderte die Befreiung seines Bruders. Phraates, der sich des Schlimmsten besorgte, gab den Demetrius auch wirklich los; aber nichts desto weniger kam es zwischen ihm und dem Antiochus zum Treffen, in welchem dieser den kürzern zog, und sich aus Verzweiflung selbst entleibte. Demetrius, nachdem er wieder in sein Reich gekehret war, ward von seiner Gemahlin, Cleopatra, aus Haß gegen die Rodogune, umgebracht; obschon Cleopatra selbst, aus Verdruß über diese Heirat, sich mit dem nämlichen Antiochus, seinem Bruder, vermählet hatte. Sie hatte von dem Demetrius zwei Söhne, wovon sie den ältesten, mit Namen Seleucus, der nach dem Tode seines Vaters den Thron bestieg, eigenhändig mit einem Pfeile erschoß; es sei nun, weil sie besorgte, er möchte den Tod seines Vaters an ihr rächen, oder weil sie sonst ihre grausame Gemütsart dazu veranlaßte. Der jüngste Sohn hieß Antiochus; er folgte seinem Bruder in der Regierung, und zwang seine abscheuliche Mutter, daß sie den Giftbecher, den sie ihm zugedacht hatte, selbst trinken mußte.«
    In dieser Erzählung lag Stoff zu mehr als einem Trauerspiele. Es würde Corneillen eben nicht viel mehr Erfindung gekostet haben, einen Tryphon, einen Antiochus, einen Demetrius, einen Seleucus, daraus zu machen, als es ihm, eine Rodogune daraus zu erschaffen, kostete. Was ihn aber vorzüglich darin reizte, war die beleidigte Ehefrau, welche die usurpierten Rechte ihres Ranges und Bettes nicht grausam genug rächen zu können glaubet. Diese also nahm er heraus; und es ist unstreitig, daß so nach sein Stück nicht Rodogune, sondern Cleopatra heißen sollte. Er gestand es selbst, und nur weil er besorgte, daß die Zuhörer diese Königin von Syrien mit jener berühmten letzten Königin von Ägypten gleiches Namens verwechseln dürften, wollte er lieber von der zweiten, als von der ersten Person den Titel hernehmen. »Ich glaubte mich, sagt er, dieser Freiheit um so eher bedienen zu können, da ich angemerkt hatte, daß die Alten selbst es nicht für notwendig gehalten, ein Stück eben nach seinem Helden zu benennen, sondern es ohne Bedenken auch wohl nach dem Chore benannt haben, der an der Handlung doch weit weniger Teil hat, und weit episodischer ist, als Rodogune; so hat z. E. Sophokles eines seiner Trauerspiele die Trachinerinnen genannt, welches man itziger Zeit schwerlich anders, als den sterbenden Herkules nennen würde.« Diese Bemerkung ist an und für sich sehr richtig; die Alten hielten den Titel für ganz unerheblich; sie glaubten im geringsten nicht, daß er den Inhalt angeben müsse; genug, wenn dadurch ein Stück von dem andern unterschieden ward, und hiezu ist der kleinste Umstand hinlänglich. Allein, gleichwohl glaube ich schwerlich, daß Sophokles das Stück, welches er die Trachinerinnen überschrieb, würde haben Deianira nennen wollen. Er stand nicht an, ihm einen nichtsbedeutenden Titel zu geben, aber ihm einen verführerischen Titel zu geben, einen Titel, der unsere Aufmerksamkeit auf einen falschen Punkt richtet, dessen möchte er sich ohne Zweifel mehr bedacht haben. Die Besorgnis des Corneille ging hiernächst zu weit; wer die ägyptische Cleopatra kennet, weiß auch, daß Syrien nicht Ägypten ist, weiß, daß mehr Könige und Königinnen einerlei Namen geführt haben; wer aber jene nicht kennt, kann sie auch mit dieser nicht verwechseln. Wenigstens hätte Corneille in dem Stück selbst, den Namen Cleopatra nicht so sorgfältig vermeiden sollen; die Deutlichkeit hat in dem ersten Akte darunter gelitten; und der deutsche Übersetzer tat daher sehr wohl, daß er sich über diese kleine Bedenklichkeit wegsetzte. Kein Skribent, am wenigsten ein Dichter, muß seine Leser oder Zuhörer so gar unwissend annehmen; er darf auch gar wohl manchmal denken; was sie nicht wissen, das

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