Werke
Die Schenkung des Ringes hätte vor der Handlung des Stücks lange müssen vorhergegangen sein, und bloß der Graf hätte darauf rechnen müssen, aber aus Edelmut nicht eher Gebrauch davon machen wollen, als bis er gesehen, daß man auf seine Rechtfertigung nicht achte, daß die Königin zu sehr wider ihn eingenommen sei, als daß er sie zu überzeugen hoffen könne, daß er sie also zu bewegen suchen müsse. Und indem sie so bewegt würde, müßte die Überzeugung dazu kommen; die Erkennung seiner Unschuld und die Erinnerung ihres Versprechens, ihn auch dann, wenn er schuldig sein sollte, für unschuldig gelten zu lassen, müßten sie auf einmal überraschen, aber nicht eher überraschen, als bis es nicht mehr in ihrem Vermögen stehet, gerecht und erkenntlich zu sein.
Viel glücklicher hat Banks die Ohrfeige in sein Stück eingeflochten. – Aber eine Ohrfeige in einem Trauerspiele! Wie englisch, wie unanständig! – Ehe meine feinern Leser zu sehr darüber spotten, bitte ich sie, sich der Ohrfeige im Cid zu erinnern. Die Anmerkung, die der Hr. von Voltaire darüber gemacht hat, ist in vielerlei Betrachtung merkwürdig. »Heut zu Tage, sagt er, dürfte man es nicht wagen, einem Helden eine Ohrfeige geben zu lassen. Die Schauspieler selbst wissen nicht, wie sie sich dabei anstellen sollen; sie tun nur, als ob sie eine gäben. Nicht einmal in der Komödie ist so etwas mehr erlaubt; und dieses ist das einzige Exempel, welches man auf der tragischen Bühne davon hat. Es ist glaublich, daß man unter andern mit deswegen den Cid eine Tragikomödie betitelte; und damals waren fast alle Stücke des Scuderi und des Boisrobert Tragikomödien. Man war in Frankreich lange der Meinung gewesen, daß sich das ununterbrochne Tragische, ohne alle Vermischung mit gemeinen Zügen, gar nicht aushalten lasse. Das Wort Tragikomödie selbst, ist sehr alt; Plautus braucht es, seinen Amphitruo damit zu bezeichnen, weil das Abenteuer des Sosias zwar komisch, Amphitruo selbst aber in allem Ernste betrübt ist.« – Was der Herr von Voltaire nicht alles schreibt! Wie gern er immer ein wenig Gelehrsamkeit zeigen will, und wie sehr er meistenteils damit verunglückt!
Es ist nicht wahr, daß die Ohrfeige im Cid die einzige auf der tragischen Bühne ist. Voltaire hat den Essex des Banks entweder nicht gekannt, oder vorausgesetzt, daß die tragische Bühne seiner Nation allein diesen Namen verdiene. Unwissenheit verrät beides; und nur das letztere noch mehr Eitelkeit, als Unwissenheit. Was er von dem Namen der Tragikomödie hinzufügt, ist eben so unrichtig. Tragikomödie hieß die Vorstellung einer wichtigen Handlung unter vornehmen Personen, die einen vergnügten Ausgang hat; das ist der Cid, und die Ohrfeige kam dabei gar nicht in Betrachtung; denn dieser Ohrfeige ungeachtet, nannte Corneille hernach sein Stück eine Tragödie, sobald er das Vorurteil abgelegt hatte, daß eine Tragödie notwendig eine unglückliche Katastrophe haben müsse. Plautus braucht zwar das Wort Tragicocomoedia: aber er braucht es bloß im Scherze; und gar nicht, um eine besondere Gattung damit zu bezeichnen. Auch hat es ihm in diesem Verstande kein Mensch angeborgt, bis es in dem sechzehnten Jahrhunderte den Spanischen und Italienischen Dichtern einfiel, gewisse von ihren dramatischen Mißgeburten so zu nennen. (61) Wenn aber auch Plautus seinen Amphitruo im Ernste so genannt hätte, so wäre es doch nicht aus der Ursache geschehen, die ihm Voltaire andichtet. Nicht weil der Anteil, den Sosias an der Handlung nimmt, komisch, und der, den Amphitruo daran nimmt, tragisch ist: nicht darum hätte Plautus sein Stück lieber eine Tragikomödie nennen wollen. Denn sein Stück ist ganz komisch, und wir belustigen uns an der Verlegenheit des Amphitruo eben so sehr, als an des Sosias seiner. Sondern darum, weil diese komische Handlung größtenteils unter höhern Personen vorgehet, als man in der Komödie zu sehen gewohnt ist. Plautus selbst erklärt sich darüber deutlich genug:
Faciam ut commixta sit Tragico-comoedia:
Nam me perpetuo facere ut sit Comoedia
Reges quo veniant et di, non par arbitror.
Quid igitur? quoniam hic servus quoque partes habet,
Faciam hanc, proinde ut dixi, Tragico-comoediam.
{ ‡ }
Sechs und funfzigstes Stück
Den 13ten November, 1767
Aber wiederum auf die Ohrfeige zu kommen. – Einmal ist es doch nun so, daß eine Ohrfeige, die ein Mann von Ehre von seines Gleichen oder von einem Höhern bekömmt, für eine so schimpfliche Beleidigung
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