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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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gehalten wird, daß alle Genugtuung, die ihm die Gesetze dafür verschaffen können, vergebens ist. Sie will nicht von einem dritten bestraft, sie will von dem Beleidigten selbst gerächet, und auf eine eben so eigenmächtige Art gerächet sein, als sie erwiesen worden. Ob es die wahre oder die falsche Ehre ist, die dieses gebietet, davon ist hier die Rede nicht. Wie gesagt, es ist nun einmal so.
    Und wenn es nun einmal in der Welt so ist: warum soll es nicht auch auf dem Theater so sein? Wenn die Ohrfeigen dort im Gange sind: warum nicht auch hier?
    »Die Schauspieler, sagt der Herr von Voltaire, wissen nicht, wie sie sich dabei anstellen sollen.« Sie wüßten es wohl; aber man will eine Ohrfeige auch nicht einmal gern im fremden Namen haben. Der Schlag setzt sie in Feuer; die Person erhält ihn, aber sie fühlen ihn; das Gefühl hebt die Verstellung auf; sie geraten aus ihrer Fassung; Scham und Verwirrung äußert sich wider Willen auf ihrem Gesichte; sie sollten zornig aussehen, und sie sehen albern aus; und jeder Schauspieler, dessen eigene Empfindungen mit seiner Rolle in Kollision kommen, macht uns zu lachen.
    Es ist dieses nicht der einzige Fall, in welchem man die Abschaffung der Masken betauern möchte. Der Schauspieler kann ohnstreitig unter der Maske mehr Contenance halten; seine Person findet weniger Gelegenheit auszubrechen; und wenn sie ja ausbricht, so werden wir diesen Ausbruch weniger gewahr.
    Doch der Schauspieler verhalte sich bei der Ohrfeige, wie er will: der dramatische Dichter arbeitet zwar für den Schauspieler, aber er muß sich darum nicht alles versagen, was diesem weniger tulich und bequem ist. Kein Schauspieler kann rot werden, wenn er will: aber gleichwohl darf es ihm der Dichter vorschreiben; gleichwohl darf er den einen sagen lassen, daß er es den andern werden sieht. Der Schauspieler will sich nicht ins Gesichte schlagen lassen; er glaubt, es mache ihn verächtlich; es verwirrt ihn; es schmerzt ihn: recht gut! Wenn er es in seiner Kunst so weit noch nicht gebracht hat, daß ihn so etwas nicht verwirret; wenn er seine Kunst so sehr nicht liebet, daß er sich, ihr zum Besten, eine kleine Kränkung will gefallen lassen: so suche er über die Stelle so gut wegzukommen, als er kann; er weiche dem Schlage aus; er halte die Hand vor; nur verlange er nicht, daß sich der Dichter seinetwegen mehr Bedenklichkeiten machen soll, als er sich der Person wegen macht, die er ihn vorstellen läßt. Wenn der wahre Diego, wenn der wahre Essex eine Ohrfeige hinnehmen muß: was wollen ihre Repräsentanten dawider einzuwenden haben?
    Aber der Zuschauer will vielleicht keine Ohrfeige geben sehen? Oder höchstens nur einem Bedienten, den sie nicht besonders schimpft, für den sie eine seinem Stande angemessene Züchtigung ist? Einem Helden hingegen, einem Helden eine Ohrfeige! wie klein, wie unanständig! – Und wenn sie das nun eben sein soll? Wenn eben diese Unanständigkeit die Quelle der gewaltsamsten Entschließungen, der blutigsten Rache werden soll, und wird? Wenn jede geringere Beleidigung diese schreckliche Wirkungen nicht hätte haben können? Was in seinen Folgen so tragisch werden kann, was unter gewissen Personen notwendig so tragisch werden muß, soll dennoch aus der Tragödie ausgeschlossen sein, weil es auch in der Komödie, weil es auch in dem Possenspiele Platz findet? Worüber wir einmal lachen, sollen wir ein andermal nicht erschrecken können?
    Wenn ich die Ohrfeige aus einer Gattung des Drama verbannt wissen möchte, so wäre es aus der Komödie. Denn was für Folgen kann sie da haben? Traurige? die sind über ihrer Sphäre. Lächerliche? die sind unter ihr, und gehören dem Possenspiele. Gar keine? so verlohnte es nicht der Mühe, sie geben zu lassen. Wer sie gibt, wird nichts als pöbelhafte Hitze, und wer sie bekömmt, nichts als knechtische Kleinmut verraten. Sie verbleibt also den beiden Extremis, der Tragödie und dem Possenspiele; die mehrere dergleichen Dinge gemein haben, über die wir entweder spotten oder zittern wollen.
    Und ich frage jeden, der den Cid vorstellen sehen, oder ihn mit einiger Aufmerksamkeit auch nur gelesen, ob ihn nicht ein Schauder überlaufen, wenn der großsprecherische Gormas den alten würdigen Diego zu schlagen sich erdreistet? Ob er nicht das empfindlichste Mitleid für diesen, und den bittersten Unwillen gegen jenen empfunden? Ob ihm nicht auf einmal alle die blutigen und traurigen Folgen, die diese schimpfliche Begegnung nach sich ziehen müsse,

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