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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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sich von neunzehn erinnern, sie während der Arbeit sich selbst gemacht, und sie auch schon sich selbst beantwortet zu haben.
    Gleichwohl wird er nicht ungehalten sein, sie auch von andern machen zu hören: denn er hat es gern, daß man über sein Werk urteilet; schal oder gründlich, links oder rechts, gutartig oder hämisch, alles gilt ihm gleich; und auch das schalste, linkste, hämischste Urteil, ist ihm lieber, als kalte Bewunderung. Jenes wird er auf die eine oder die andre Art in seinen Nutzen zu verwenden wissen: aber was fängt er mit dieser an? Verachten möchte er die guten ehrlichen Leute nicht gern, die ihn für so etwas außerordentliches halten: und doch muß er die Achseln über sie zucken. Er ist nicht eitel, aber er ist gemeiniglich stolz; und aus Stolz möchte er zehnmal lieber einen unverdienten Tadel, als ein unverdientes Lob, auf sich sitzen lassen. –
    Man wird glauben, welche Kritik ich hiermit vorbereiten will. – Wenigstens nicht bei dem Verfasser, – höchstens nur bei einem oder dem andern Mitsprecher. Ich weiß nicht, wo ich es jüngst gedruckt lesen mußte, daß ich die Amalia meines Freundes auf Unkosten seiner übrigen Lustspiele gelobt hätte. (120) – Auf Unkosten? aber doch wenigstens der frühern? Ich gönne es Ihnen, mein Herr, daß man niemals Ihre ältern Werke so möge tadeln können. Der Himmel bewahre Sie vor dem tückischen Lobe: daß Ihr letztes immer Ihr bestes ist! –
    { ‡ }
Vier und siebzigstes Stück
    Den 15ten Januar 1768
    Zur Sache. – Es ist vornehmlich der Charakter des Richards, worüber ich mir die Erklärung des Dichters wünschte.
    Aristoteles würde ihn schlechterdings verworfen haben; zwar mit dem Ansehen des Aristoteles wollte ich bald fertig werden, wenn ich es nur auch mit seinen Gründen zu werden wüßte.
    Die Tragödie, nimmt er an, soll Mitleid und Schrecken erregen: und daraus folgert er, daß der Held derselben weder ein ganz tugendhafter Mann, noch ein völliger Bösewicht sein müsse. Denn weder mit des einen noch mit des andern Unglücke, lasse sich jener Zweck erreichen.
    Räume ich dieses ein: so ist Richard der Dritte eine Tragödie, die ihres Zweckes verfehlt. Räume ich es nicht ein: so weiß ich gar nicht mehr, was eine Tragödie ist.
    Denn Richard der Dritte, so wie ihn Herr Weiß geschildert hat, ist unstreitig das größte, abscheulichste Ungeheuer, das jemals die Bühne getragen. Ich sage, die Bühne: daß es die Erde wirklich getragen habe, daran zweifle ich.
    Was für Mitleid kann der Untergang dieses Ungeheuers erwecken? Doch, das soll er auch nicht; der Dichter hat es darauf nicht angelegt; und es sind ganz andere Personen in seinem Werke, die er zu Gegenständen unsers Mitleids gemacht hat.
    Aber Schrecken? – Sollte dieser Bösewicht, der die Kluft, die sich zwischen ihm und dem Throne befunden, mit lauter Leichen gefüllet, mit den Leichen derer, die ihm das Liebste in der Welt hätten sein müssen; sollte dieser blutdürstige, seines Blutdurstes sich rühmende, über seine Verbrechen sich kitzelnde Teufel, nicht Schrecken in vollem Maße erwecken?
    Wohl erweckt er Schrecken: wenn unter Schrecken das Erstaunen über unbegreifliche Missetaten, das Entsetzen über Bosheiten, die unsern Begriff übersteigen, wenn darunter der Schauder zu verstehen ist, der uns bei Erblickung vorsetzlicher Greuel, die mit Lust begangen werden, überfällt. Von diesem Schrecken hat mich Richard der Dritte mein gutes Teil empfinden lassen.
    Aber dieses Schrecken ist so wenig eine von den Absichten des Trauerspiels, daß es vielmehr die alten Dichter auf alle Weise zu mindern suchten, wenn ihre Personen irgend ein großes Verbrechen begehen mußten. Sie schoben öfters lieber die Schuld auf das Schicksal, machten das Verbrechen lieber zu einem Verhängnisse einer rächenden Gottheit, verwandelten lieber den freien Menschen in eine Maschine: ehe sie uns bei der gräßlichen Idee wollten verweilen lassen, daß der Mensch von Natur einer solchen Verderbnis fähig sei.
    Bei den Franzosen führt Crebillon den Beinamen des Schrecklichen. Ich fürchte sehr, mehr von diesem Schrecken, welches in der Tragödie nicht sein sollte, als von dem echten, das der Philosoph zu dem Wesen der Tragödie rechnet.
    Und dieses – hätte man gar nicht Schrecken nennen sollen. Das Wort, welches Aristoteles braucht, heißt Furcht: Mitleid und Furcht, sagt er, soll die Tragödie erregen; nicht, Mitleid und Schrecken. Es ist wahr, das Schrecken ist eine Gattung der Furcht;

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