Werke
bloße Hülfsmittel sind, durch die sie der Dichter desto besser mit andern Personen zu erreichen sucht: so ist es unstreitig, daß das Stück noch besser sein würde, wenn es die nämliche Wirkung ohne sie hätte. Je simpler eine Maschine ist, je weniger Federn und Räder und Gewichte sie hat, desto vollkommener ist sie.
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Drei und achtzigstes Stück
Den 16ten Februar, 1768
6. Und endlich, die Mißdeutung der ersten und wesentlichsten Eigenschaft, welche Aristoteles für die Sitten der tragischen Personen fodert! Sie sollen gut sein, die Sitten. – Gut? sagt Corneille. »Wenn gut hier so viel als tugendhaft heißen soll: so wird es mit den meisten alten und neuen Tragödien übel aussehen, in welchen schlechte und lasterhafte, wenigstens mit einer Schwachheit, die nächst der Tugend so recht nicht bestehen kann, behaftete Personen genug vorkommen.« Besonders ist ihm für seine Cleopatra in der Rodogune bange. Die Güte, welche Aristoteles fodert, will er also durchaus für keine moralische Güte gelten lassen; es muß eine andere Art von Güte sein, die sich mit dem moralisch Bösen eben so wohl verträgt, als mit dem moralisch Guten. Gleichwohl meinet Aristoteles schlechterdings eine moralische Güte: nur daß ihm tugendhafte Personen, und Personen, welche in gewissen Umständen tugendhafte Sitten zeigen, nicht einerlei sind. Kurz, Corneille verbindet eine ganz falsche Idee mit dem Worte Sitten, und was die Proäresis ist, durch welche allein, nach unserm Weltweisen, freie Handlungen zu guten oder bösen Sitten werden, hat er gar nicht verstanden. Ich kann mich itzt nicht in einen weitläuftigen Beweis einlassen; er läßt sich nur durch den Zusammenhang, durch die syllogistische Folge aller Ideen des griechischen Kunstrichters, einleuchtend genug führen. Ich verspare ihn daher auf eine andere Gelegenheit, da es bei dieser ohnedem nur darauf ankömmt, zu zeigen, was für einen unglücklichen Ausweg Corneille, bei Verfehlung des richtigen Weges, ergriffen. Dieser Ausweg lief dahin: daß Aristoteles unter der Güte der Sitten den glänzenden und erhabnen Charakter irgend einer tugendhaften oder strafbaren Neigung verstehe, so wie sie der eingeführten Person entweder eigentümlich zukomme, oder ihr schicklich beigeleget werden könne: le caractere brillant et élevé d’une habitude vertueuse ou criminelle, selon qu’elle est propre et convenable à la personne qu’on introduit. »Cleopatra in der Rodogune, sagt er, ist äußerst böse; da ist kein Meuchelmord, vor dem sie sich scheue, wenn er sie nur auf dem Throne zu erhalten vermag, den sie allem in der Welt vorzieht; so heftig ist ihre Herrschsucht. Aber alle ihre Verbrechen sind mit einer gewissen Größe der Seele verbunden, die so etwas Erhabenes hat, daß man, indem man ihre Handlungen verdammet, doch die Quelle, woraus sie entspringen, bewundern muß. Eben dieses getraue ich mir von dem Lügner zu sagen. Das Lügen ist unstreitig eine lasterhafte Angewohnheit; allein Dorant bringt seine Lügen mit einer solchen Gegenwart des Geistes, mit so vieler Lebhaftigkeit vor, daß diese Unvollkommenheit ihm ordentlich wohl läßt, und die Zuschauer gestehen müssen, daß die Gabe so zu lügen ein Laster sei, dessen kein Dummkopf fähig ist.« – Wahrlich, einen verderblichern Einfall hätte Corneille nicht haben können! Befolget ihn in der Ausführung, und es ist um alle Wahrheit, um alle Täuschung, um allen sittlichen Nutzen der Tragödie getan! Denn die Tugend, die immer bescheiden und einfältig ist, wird durch jenen glänzenden Charakter eitel und romantisch: das Laster aber, mit einem Firnis überzogen, der uns überall blendet, wir mögen es aus einem Gesichtspunkte nehmen, aus welchem wir wollen. Torheit, bloß durch die unglücklichen Folgen von dem Laster abschrecken wollen, indem man die innere Häßlichkeit desselben verbirgt! Die Folgen sind zufällig; und die Erfahrung lehrt, daß sie eben so oft glücklich als unglücklich fallen. Dieses bezieht sich auf die Reinigung der Leidenschaften, wie sie Corneille sich dachte. Wie ich mir sie vorstelle, wie sie Aristoteles gelehrt hat, ist sie vollends nicht mit jenem trügerischen Glanze zu verbinden. Die falsche Folie, die so dem Laster untergelegt wird, macht daß ich Vollkommenheiten erkenne, wo keine sind; macht, daß ich Mitleiden habe, wo ich keines haben sollte. – Zwar hat schon Dacier dieser Erklärung widersprochen, aber aus untriftigern Gründen; und es fehlt nicht viel, daß die,
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