Werke
auf den Titel eines Weltweisen. Gleichwohl wäre er so beherzt, ihn auch Leuten abzustreiten, welchen öffentliche Ämter das Recht dieses blendenden Beinamens gegeben haben. Wenn er es nun gar, indem er in allen Gesellschaften der falschen Weisheit die Larve abriß, dahin brächte, daß ihre Hörsäle, ich will nicht sagen leer, doch minder voll würden; ich bitte euch, meine Freunde, was würden unsere Philosophen mit diesem Manne anfangen? Würden sie sagen: Wir haben geirrt? Ja, er hat Recht. Man muß keinen Philosophen kennen, wenn man glaubt, er sei fähig zu widerrufen.
Hu! würde ein stolzer Algebraist murmeln, Ihr mein Freund ein Philosoph? Laßt einmal sehen. Ihr versteht doch wohl einen hyperbolischen Afterkegel zu kubieren? Oder nein – – Könnet Ihr eine Exponential-Größe differentieren? Es ist eine Kleinigkeit; hernach wollen wir unsre Kräfte in was größern versuchen. Ihr schüttelt den Kopf? Nicht? Nu da haben wirs. Bald wollte ich wetten, Ihr wißt nicht einmal, was eine Irrational-Größe ist? Und werft Euch zu einem Philosoph auf? O Verwegenheit! o Zeit! o Barbarei!
Ha! Ha! fällt ihm der Astronom ins Wort, und also werde auch ich wohl eine schlechte Antwort von Euch zu erwarten haben? Denn wenn Ihr, wie ich höre, nicht einmal die ersten Gründe der Algebra inne habt, so müßte Gott es Euch unmittelbar eingegeben haben, wenn Ihr eine bessere Theorie des Monds hättet, als ich. Laßt sehen, was Ihr davon wißt? Ihr schweigt? Ihr lacht gar?
Platz! Ein paar Metaphysiker kommen, gleichfalls mit meinem Helden eine Lanze zu brechen. Nun, schreit der eine, Ihr glaubt doch wohl Monaden? Ja. Ihr verwerft doch wohl die Monaden, ruft der andre? Ja. Was? Ihr glaubt sie und glaubt sie auch nicht? Vortrefflich!
Umsonst würde er es wie jener Bauernjunge machen, den sein Pfarr fragte: kannst du das siebende Gebot? Anstatt zu antworten, nahm er seinen Hut, stellte ihn auf die Spitze eines Fingers, ließ ihn sehr künstlich darauf herumtanzen, und setzte hinzu: Herr Pfarr könnet Ihr das? Doch ich will ernsthafter reden. Umsonst, sage ich, würde er seinen Hohnsprechern andere wichtige Fragen vorlegen. Vergebens würde er sogar beweisen, daß seine Fragen mehr auf sich hätten, als die ihrigen. Könnt Ihr, würde er etwa zu dem ersten sagen, Euren hyperbolischen Stolz mäßigen? Und zu dem andern: seid Ihr weniger veränderlich, als der Mond? Und zu dem dritten: kann man seinen Verstand nicht in etwas bessern üben, als in unerforschlichen Dingen? Ihr seid ein Schwärmer! würden sie einmütig schreien. Ein Narr, der dem Tollhause entlaufen ist! Allein man wird schon Sorge tragen, daß Ihr wieder an Ort und Stelle kommt.
Gott sei Dank, daß so ein verwegener Freund der Laien noch nicht aufgestanden ist, und zu unsern Zeiten auch nicht aufstehen möchte: denn die Herrn, welche mit der Wirklichkeit der Dinge so viel zu tun haben, werden schon sorgen, daß meine Einbildung nimmermehr zur Wirklichkeit gelangt.
Wie aber, wenn so ein Schicksal unsre Theologen betroffen hätte? Doch ich will mich ohne Umschweif erklären. Ich glaube, das, was so ein Mann, wie ich ihn geschildert habe, für die Weltweisen sein würde, das sind anjetzo die Herrnhuter für die Gottesgelehrten. Sieht man bald wo ich hinaus will?
Eine einzige Frage, die man, wenn man die geringste Billigkeit hat, nimmermehr bejahen kann, wird deutlich zeigen, daß meine Vergleichung nicht ohne Grund ist. Haben die Herrnhuter , oder hat ihr Anführer, der Graf von Z. jemals die Absicht gehabt, die Theorie unsers Christentums zu verändern? Hat er jemals gesagt, in diesem oder jenem Lehrsatze irren meine Glaubensgenossen? Diesen Punkt verstehen sie falsch? Hier müssen sie sich von mir zu Rechte weisen lassen? Wenn unsre Theologen aufrichtig sein wollen, so werden sie gestehen müssen, daß er sich nie zu einem Religionsverbesserer aufgeworfen hat. Hat er ihnen nicht mehr als einmal die deutlichsten Versicherungen getan, daß seine Lehrsätze in allem dem augspurgischen Glaubensbekenntnis gemäß wären? Schon gut, werden sie antworten; allein warum behauptet er in seinen eigenen Schriften Sachen, die diesen Versicherungen offenbar widersprechen? Haben wir ihn nicht der abscheulichsten Irrtümer überführt? Man erlaube mir, daß ich die Beantwortung dieses Punkts ein wenig verspare. Genung wir haben sein Bekenntnis; er verlangt nichts in den Lehrsätzen unserer Kirche zu verändern. Was will er denn? – – – – –
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Gotthold
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