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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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konnte.
    Man kennt diejenigen, die in diesen unwürdigen Zeiten zuerst wieder mit ihren eigenen Augen sehen wollten. Der menschliche Verstand läßt sich zwar ein Joch auflegen; so bald man es ihm aber zu sehr fühlen läßt, so bald schüttelt er es ab. Huß und einige andre, die das Ansehen des Statthalters Christi nur in diesem und jenem Stücke zweifelhaft machten, waren die gewissen Vorboten von Männern, welche es glücklicher gänzlich über den Haufen werfen würden.
    Sie kamen. Welch feindseliges Schicksal mußte zwei Männer über Worte, über ein Nichts uneinig werden lassen, welche am geschicktesten gewesen wären, die Religion in ihrem eigentümlichen Glanze wieder herzustellen, wenn sie mit vereinigten Kräften gearbeitet hätten? Selige Männer, die undankbaren Nachkommen sehen bei eurem Lichte, und verachten euch. Ihr waret es, die ihr die wankenden Kronen auf den Häuptern der Könige feste setztet, und man verlacht euch als die kleinsten, eigennützigsten Geister.
    Doch die Wahrheit soll bei meinem Lobspruche nicht leiden. Wie kam es, daß Tugend und Heiligkeit gleichwohl so wenig bei euren Verbesserungen gewann? Was hilft es, recht zu glauben, wenn man unrecht lebt? Wie glücklich, wenn ihr uns eben so viel fromme als gelehrte Nachfolger gelassen hättet! Der Aberglaube fiel. Aber eben das, wodurch ihr ihn stürztet, die Vernunft, die so schwer in ihrer Sphäre zu erhalten ist, die Vernunft führte euch auf einen andern Irrweg, der zwar weniger von der Wahrheit, doch desto weiter von der Ausübung der Pflichten eines Christen entfernt war.
    Und jetzo, da unsre Zeiten – soll ich sagen so glücklich? oder so unglücklich? – sind, daß man eine so vortreffliche Zusammensetzung von Gottesgelahrtheit und Weltweisheit gemacht hat, worinne man mit Mühe und Not eine von der andern unterscheiden kann, worinne eine die andere schwächt, indem diese den Glauben durch Beweise erzwingen, und jene die Beweise durch den Glauben unterstützen soll; jetzo, sage ich, ist durch diese verkehrte Art, das Christentum zu lehren, ein wahrer Christ weit seltner, als in den dunklen Zeiten geworden. Der Erkenntnis nach sind wir Engel, und dem Leben nach Teufel.
    Ich will es dem Leser überlassen, mehr Gleichheiten zwischen den Schicksalen der Religion und der Weltweisheit aufzusuchen. Er wird durchgängig finden, daß die Menschen in der einen wie in der andern nur immer haben vernünfteln, niemals handeln wollen.
    Nun kömmt es darauf an, daß ich diese Betrachtung auf die Herrnhuter anwende. Es wird leicht sein. Ich muß aber vorher einen kleinen Sprung zurück auf die Philosophie tun.
    Man stelle sich vor, es stünde zu unsern Zeiten ein Mann auf, welcher auf die wichtigsten Verrichtungen unserer Gelehrten von der Höhe seiner Empfindungen verächtlich herabsehen könnte, welcher mit einer sokratischen Stärke die lächerlichen Seiten unserer so gepriesenen Weltweisen zu entdecken wüßte, und mit einem zuversichtlichen Tone auszurufen wagte:
    Ach! eure Wissenschaft ist noch der Weisheit Kindheit,
    Der Klugen Zeitvertreib, ein Trost der stolzen Blindheit!
    Gesetzt, alle seine Ermahnungen und Lehren zielten auf das einzige, was uns ein glückliches Leben verschaffen kann, auf die Tugend. Er lehrte uns, des Reichtums entbehren, ja ihn fliehen. Er lehrte uns, unerbittlich gegen uns selbst, nachsehend gegen andre sein. Er lehrte uns, das Verdienst, auch wenn es mit Unglück und Schmach überhäuft ist, hochachten und gegen die mächtige Dummheit verteidigen. Er lehrte uns, die Stimme der Natur in unsern Herzen lebendig empfinden. Er lehrte uns, Gott nicht nur glauben, sondern was das vornehmste ist, lieben. Er lehrte uns endlich, dem Tode unerschrocken unter die Augen gehen, und durch einen willigen Abtritt von diesem Schauplatze beweisen, daß man überzeugt sei, die Weisheit würde uns die Maske nicht ablegen heißen, wenn wir unsere Rolle nicht geendigt hätten. Man bilde sich übrigens ein, dieser Mann besäße nichts von aller der Kenntnis, die desto weniger nützt, je prahlender sie ist. Er wäre weder in den Geschichten, noch in den Sprachen erfahren. Er kenne die Schönheiten und Wunder der Natur nicht weiter, als in soferne sie die sichersten Beweise von ihrem großen Schöpfer sind. Er habe alles das unerforscht gelassen, wovon er, bei Toren zwar mit weniger Ehre, allein mit desto mehr Befriedigung seiner selbst, sagen kann: ich weiß es nicht, ich kann es nicht einsehen. Gleichwohl mache dieser Mann Anspruch

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