Werke
die liebe Ordnung der Faulen. Man schreibt wie man denkt: was man an dem gehörigen Ort ausgelassen hat, holet man bei Gelegenheit nach: was man aus Versehen zweimal sagt, das bittet man den Leser das andremal zu übergehen.
Ich werde sehr weit auszuholen scheinen. Allein, ehe man sichs versieht, so bin ich bei der Sache.
Der Mensch ward zum Tun und nicht zum Vernünfteln erschaffen. Aber eben deswegen, weil er nicht dazu erschaffen ward, hängt er diesem mehr als jenem nach. Seine Bosheit unternimmt allezeit das, was er nicht soll, und seine Verwegenheit allezeit das, was er nicht kann. Er, der Mensch, sollte sich Schranken setzen lassen?
Glückselige Zeiten, als der Tugendhafteste der Gelehrteste war! als alle Weisheit in kurzen Lebensregeln bestand!
Sie waren zu glückselig, als daß sie lange hätten dauern können. Die Schüler der sieben Weisen glaubten ihre Lehrer gar bald zu übersehen. Wahrheiten, die jeder fassen, aber nicht jeder üben kann, waren ihrer Neubegierde eine allzuleichte Nahrung. Der Himmel, vorher der Gegenstand ihrer Bewunderung, ward das Feld ihrer Mutmaßungen. Die Zahlen öffneten ihnen ein Labyrinth von Geheimnissen, die ihnen um so viel angenehmer waren, je weniger sie Verwandtschaft mit der Tugend hatten.
Der weiseste unter den Menschen, nach einem Ausspruche des Orakels, in dem es sich am wenigsten gleich war, bemühte sich die Lehrbegierde von diesem verwegenen Fluge zurückzuholen. Törichte Sterbliche, was über euch ist, ist nicht für euch! Kehret den Blick in euch selbst! In euch sind die unerforschten Tiefen, worinnen ihr euch mit Nutzen verlieren könnt. Hier untersucht die geheimsten Winkel. Hier lernet die Schwäche und Stärke, die verdeckten Gänge und den offenbaren Ausbruch eurer Leidenschaften! Hier richtet das Reich auf, wo ihr Untertan und König seid! Hier begreifet und beherrschet das einzige, was ihr begreifen und beherrschen sollt; euch selbst.
So ermahnte Sokrates, oder vielmehr Gott durch den Sokrates.
Wie? schrie der Sophist. Lästerer unserer Götter! Verführer des Volks! Pest der Jugend! Feind des Vaterlandes! Verfolger der Weisheit! Beneider unsers Ansehens! Auf was zielen deine schwärmerische Lehren? Uns die Schüler zu entführen? Uns den Lehrstuhl zu verschließen? Uns der Verachtung und der Armut Preis zu geben?
Allein was vermag die Bosheit gegen einen Weisen? Kann sie ihn zwingen, seine Meinung zu ändern? die Wahrheit zu verleugnen? Beweinenswürdiger Weise, wenn sie so stark wäre. Lächerliche Bosheit, die ihm, wenn sie es weit bringt, nichts als das Leben nehmen kann. Daß Sokrates ein Prediger der Wahrheit sei, sollten auch seine Feinde bezeugen, und wie hätten sie es anders bezeugen können, als daß sie ihn töteten?
Nur wenige von seinen Jüngern gingen den von ihm gezeigten Weg. Plato fing an zu träumen, und Aristoteles zu schließen. Durch eine Menge von Jahrhunderten, wo bald dieser, bald jener die Oberhand hatte, kam die Weltweisheit auf uns. Jener war zum göttlichen, dieser zum untrüglichen geworden. Es war Zeit, daß Cartesius aufstand. Die Wahrheit schien unter seinen Händen eine neue Gestalt zu bekommen; eine desto betrüglichere, je schimmernder sie war. Er eröffnete allen den Eingang ihres Tempels, welcher vorher sorgfältig durch das Ansehen jener beiden Tyrannen bewacht ward. Und das ist sein vorzügliches Verdienst.
Bald darauf erschienen zwei Männer, die, trotz ihrer gemeinschaftlichen Eifersucht, einerlei Absicht hatten. Beiden hatte die Weltweisheit noch allzuviel praktisches. Ihnen war es vorbehalten, sie der Meßkunst zu unterwerfen. Eine Wissenschaft, wovon dem Altertume kaum die ersten Buchstaben bekannt waren, leitete sie mit sichern Schritten bis zu den verborgensten Geheimnissen der Natur. Sie schienen sie auf der Tat ertappt zu haben.
Ihre Schüler sind es, welche jetzo dem sterblichen Geschlechte Ehre machen, und auf den Namen der Weltweisen ein gar besonders Recht zu haben glauben. Sie sind unerschöpflich in Entdeckung neuer Wahrheiten. Auf dem kleinsten Raum können sie durch wenige mit Zeichen verbundene Zahlen Geheimnisse klar machen, wozu Aristoteles unerträgliche Bände gebraucht hätte. So füllen sie den Kopf, und das Herz bleibt leer. Den Geist führen sie bis in die entferntesten Himmel, unterdessen da das Gemüt durch seine Leidenschaften bis unter das Vieh herunter gesetzt wird.
Allein mein Leser wird ungeduldig werden. Er erwartet ganz was anders, als die Geschichte der Weltweisheit in
Weitere Kostenlose Bücher