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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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einer Nuß. Ich muß ihm also sagen, daß ich bloß dieses deswegen vorangeschickt, damit ich durch ein ähnliches Beispiel zeigen könne, was die Religion für ein Schicksal gehabt hat: Und dieses wird mich weit näher zu meinem Zwecke bringen.
    Ich behaupte also: es ging der Religion wie der Weltweisheit.
    Man gehe in die ältesten Zeiten. Wie einfach, leicht und lebendig war die Religion des Adams? Allein wie lange? Jeder von seinen Nachkommen setzte nach eignem Gutachten etwas dazu. Das Wesentliche wurde in einer Sündflut von willkürlichen Sätzen versenkt. Alle waren der Wahrheit untreu geworden, nur einige weniger, als die andern; die Nachkommen Abrahams am wenigsten. Und deswegen würdigte sie Gott einer besondern Achtung. Allein nach und nach ward auch unter ihnen die Menge nichts bedeutender und selbst erwählter Gebräuche so groß, daß nur wenige einen richtigen Begriff von Gott behielten; die übrigen aber an dem äußerlichen Blendwerke hängen blieben, und Gott für ein Wesen hielten, das nicht leben könne, wenn sie ihm nicht seine Morgen- und Abendopfer brächten.
    Wer konnte die Welt aus ihrer Dunkelheit reißen? Wer konnte der Wahrheit den Aberglauben besiegen helfen? Kein Sterblicher. Theos apo mêchanês .
    Christus kam also. Man vergönne mir, daß ich ihn hier nur als einen von Gott erleuchteten Lehrer ansehen darf. Waren seine Absichten etwas anders, als die Religion in ihrer Lauterkeit wieder herzustellen, und sie in diejenigen Grenzen einzuschließen, in welchen sie desto heilsamere und allgemeinere Wirkungen hervorbringt, je enger die Grenzen sind? Gott ist ein Geist, den sollt ihr im Geist anbeten. Auf was drang er mehr als hierauf? und welcher Satz ist vermögender alle Arten der Religion zu verbinden, als dieser? Aber eben diese Verbindung war es, welche Priester und Schriftgelehrten wider ihn erbitterte. Pilatus, er lästert unsern Gott; kreuzige ihn! Und aufgebrachten Priestern schlägt ein schlauer Pilatus nichts ab.
    Ich sage es noch einmal, ich betrachte hier Christum nur als einen von Gott erleuchteten Lehrer. Ich lehne aber alle schreckliche Folgerungen von mir ab, welche die Bosheit daraus ziehen könnte.
    Das erste Jahrhundert war so glücklich Leute zu sehen, die in der strengsten Tugend einhergingen, die Gott in allen ihren Handlungen lobten, die ihm auch für das schmählichste Unglück dankten, die sich um die Wette bestrebten, die Wahrheit mit ihrem Blute zu versiegeln.
    Allein so bald man müde wurde, sie zu verfolgen, so bald wurden die Christen müde, tugendhaft zu sein. Sie bekamen nach und nach die Oberhand und glaubten, daß Sie nun zu nichts weniger als zu ihrer ersten heiligen Lebensart verbunden wären. Sie waren dem Sieger gleich, der durch gewisse anlockende Maximen sich Völker unterwürfig macht; so bald sie sich ihm aber unterworfen haben, diese Maximen zu seinem eigenen Schaden verläßt.
    Das Schwert nutzt man im Kriege, und im Frieden trägt man es zur Zierde. Im Kriege sorgt man nur, daß es scharf ist. Im Frieden putzt man es aus, und gibt ihm durch Gold und Edelsteine einen falschen Wert.
    So lange die Kirche Krieg hatte, so lange war sie bedacht, durch ein unsträfliches und wunderbares Leben, ihrer Religion diejenige Schärfe zu geben, der wenig Feinde zu widerstehen fähig sind. So bald sie Friede bekam, so bald fiel sie darauf, ihre Religion auszuschmücken, ihre Lehrsätze in eine gewisse Ordnung zu bringen, und die göttliche Wahrheit mit menschlichen Beweisen zu unterstützen.
    In diesen Bemühungen war sie so glücklich, als man es nur hoffen konnte. Rom, das vorher allen besiegten Völkern ihre väterlichen Götter ließ, das sie sogar zu seinen Göttern machte, und durch dieses kluge Verfahren höher als durch seine Macht stieg, Rom ward auf einmal zu einem verabscheuungswürdigen Tyrannen der Gewissen. Und dieses, so viel ich einsehe, war die vornehmste Ursache, warum das römische Reich von einem Kaiser zu dem andern immer mehr und mehr fiel. Doch diese Betrachtung gehöret nicht zu meinem Zweck. Ich wollte nur wünschen, daß ich meinen Leser Schritt vor Schritt durch alle Jahrhunderte führen und ihm zeigen könnte, wie das ausübende Christentum von Tag zu Tag abgenommen hat, da unterdessen das beschauende durch phantastische Grillen und menschliche Erweiterungen zu einer Höhe stieg, zu welcher der Aberglaube noch nie eine Religion gebracht hat. Alles hing von einem Einzigen ab, der desto öfterer irrte, je sicherer er irren

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