Werke
künftigen Jahres in Berlin und zwar in dem Hotel, ›die Sonne‹ geheißen, bei der Madame Obermann einzufinden, um das Nähere über den Inhalt jener Brieftasche, der ihm vielleicht interessant geworden, zu erfahren. Sollte jedoch der besagte junge Mann den Entschluß, den er einmal gefaßt, jetzt auszuführen gedenken und nach Griechenland reisen wollen, so wird er sehr gebeten, sich in Patras auf Morea an den preußischen Konsul Herrn Andreas Condoguri zu wenden und ihm die gedachte Brieftasche vorzuzeigen. Dem geschätzten Finder wird sich dann ein anmutiges Geheimnis erschließen.«
Der Baron Theodor von S. geriet, als er dies auf dem Kasino las, in eine freudige Bestürzung. Niemand anders konnte in jener Aufforderung gemeint sein, als er selbst, denn eben er hatte, es mochte wohl schon ein Jahr her sein, im Tiergarten an der bezeichneten Stelle eine kleine himmelblaue Brieftasche mit einem goldenen Schloß gefunden und zu sich gesteckt. Der Baron gehörte zu den Leuten, denen nicht eben viel Besonderes im Leben begegnet, die aber alles, was ihnen in den Weg tritt, für etwas ganz Außerordentliches und sich selbst von dem Schicksal dazu bestimmt halten, das Außerordentliche, Unerhörte zu erfahren. Gleich damals als der Baron die Brieftasche fand, die ihrer Form nach einer Dame angehören mußte, war er überzeugt, daß ihm irgendein seltsames Abenteuer aufgehen würde. Wichtigere Dinge (wir werden erfahren welche) brachten ihm indessen die Brieftasche aus den Gedanken, und um so größer war die Überraschung, daß nun erst das erwartete Abenteuer eintreffen sollte.
Fürs erste mußte sich aber der Baron über zwei Dinge in jener Aufforderung ärgern, nämlich daß seine Augen braun sein sollten, die er immer für blau gehalten, und daß sein Backenbart für schief verschnitten angegeben wurde. Letzteres griff ihm um so mehr an die Seele, als er selbst vor dem schärfsten Pariser Toilettenspiegel das schwierige Geschäft des Zustutzens seines Backenbarts besorgte und sich darin, wie der Kennerblick des Theaterfriseurs Warnicke längst entschieden, als Meister bewährte.
Nachdem der Baron sich sattsam geärgert, stellte er folgende Betrachtungen an.
»Erstlich, warum hat man mit jener Aufforderung beinahe ein Jahr gezögert? – Hat man mich unter der Zeit zu erforschen gesucht? – Aber, durfte zweitens dies wohl geschehen, da man mich näher kennen mußte, um zu wissen, was für Geheimnisse mich es einmal aussprechen ließen, daß einer besondern Konstellation halber ich nach Griechenland reisen wolle? – Kann drittens das anmutige Geheimnis wohl anderer Natur sein als weiblicher? – O Gott! es ist viertens gar nicht zu zweifeln, daß zwischen mir und dem Engelsbilde, das jene Brieftasche auf der Bank unweit der Statue des Apollo liegen ließ, gewiß geheime Beziehungen obwalten, die sich bei der Madame Obermann in der ›Sonne‹ oder in Patras auf Morea entwickeln werden. Wer weiß, welche herrliche Träume, welche süße Ahnungen dann plötzlich in reges glühendes Leben treten, welches zarte Geheimnis wie ein wundervolles Märchen mit aller Lust, allem seligen Entzücken in mir aufgehen wird! – Aber, wo ist, fünftens, um tausend Himmels willen die verhängnisvolle Brieftasche geblieben?«
Dieser fünfte Punkt war ein sehr böser, da er mit einem Schlage alle geträumte Hoffnungen, das außerordentlichste aller Abenteuer zu bestehen, vernichten mußte. Vergebens blieb alles Nachsuchen, und dem Baron war es in der Tat unbegreiflich, wie er sich gar nicht darauf zu besinnen vermochte, ob er die Brieftasche noch später in Händen gehabt. Zuletzt kam er darauf, daß ein großer Verdruß, den er an jenem Abende hatte, da er die Brieftasche fand, ihn so sehr außer Fassung gebracht, daß er alles übrige und auch die Brieftasche darüber vergessen.
Gerade an dem Tage trug er zum erstenmal eine der saubersten, zierlichsten, wohlpassendsten Kleidungen, die jemals der Kleiderkünstler Freitag verfertigen lassen und mit weisem Überblick redigiert hatte. Neun Barone, fünf Grafen und mehrere simple Edelleute hatten auf Ehre und Seligkeit geschworen, der Frack sei göttlich und die Pantalons deliziös, aber freilich, Graf E., der Rhadamanthus der modernen Welt, hatte sein Urteil noch nicht gesprochen. Das Schicksal wollte, daß der Baron von S., gerade als er, nachdem er die Brieftasche gefunden, aus dem Tiergarten zurückkehrte, unter den Linden dem Grafen v. E. begegnete. »Guten Abend, Baron!«
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