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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.T.A. Hoffmann
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bringt, zu erliegen drohte. Ich geriet auf den Gedanken, auf ganz eigene Weise, zur Heilung des Wahnsinnigen, den Magnetismus anzuwenden.
    Fräulein Wilhelmine ist, des Alten Herzblatt, und ihr allein gelang es, in schlaflosen Nächten dadurch einigen Trost in seine Seele zu bringen, daß sie, wenn er im halben Schlummer lag, leise – leise von grünen Bäumen und Büschen sprach und auch wohl sang. Es waren vorzüglich jene schönen Worte Calderons, womit in der ›Blume und Schärpe‹ Lisida das Grün preist, und welche ein kunstfertiger, fein empfindender Freund in Musik gesetzt hat. Du kennst das Lied:
    ›In der grünen Farbe glänzen,
    Ist die erste Wahl der Welt,
    Und was lieblich dar sich stellt! –
    Grün ist ja die Tracht des Lenzen,
    Und man sieht, um ihn zu kränzen,
    Keimend aus der Erde Grüften,
    Ohne Stimmen, doch in Düften
    Atmend, in den grünen Wiegen
    Buntgefärbte Blumen liegen,
    Welche Sterne sind den Lüften.‹
    Die Methode, das dem Schlafe vorhergehende Delirium, das schon an und für sich selbst dem magnetischen Halbschlafe sehr nahe verwandt, dazu anzuwenden, in die Seele des beunruhigten Kranken beschwichtigende Ideen zu bringen, ist nicht neu. Irr’ ich nicht, so bediente sich schon Puysegur ihrer. Du wirst aber nun gleich sehen, von welchem Hauptschlag meiner Kunst ich die völlige Genesung des Alten zu erlangen hoffe.« –
    Der Doktor stand auf, schritt auf Fräulein Wilhelmine zu und sprach ein paar Worte. Dann folgte ich dem Doktor, und schwer mußte es mir in der Tat nicht fallen, mich mit der seltsamen Ungewöhnlichkeit des Auftrittes darüber zu entschuldigen, daß ich geblieben und in gewisser Art den Lauscher gemacht.
    Wir gingen nun an den Kutschenschlag – ein junger Mann stieg aus, und bald trug dieser, mit Hilfe des Doktors und des mitgekommenen Jägers, den schlummernden Alten zu dem seltsamen Baum in der Mitte des Platzes und legte ihn sanft in bequemer Stellung auf die Rasenbank, die, wie der geneigte Leser es weiß, der Doktor mit eigner kunstgeübter Hand errichtet hatte.
    Der Alte bot durchaus einen rührenden, herzerhebenden Anblick dar. Seine große, schöne Gestalt war in einen langen Überrock von silbergrauem, leichtem Sommerzeuge gekleidet, und er trug ein Mützchen von demselben Zeuge auf dem Haupte, unter dem nur sparsam ein paar weiße Löckchen hervorblickten. Sein Gesicht, unerachtet die Augen geschlossen, hatte einen unbeschreiblichen Ausdruck der tiefsten Wehmut, und doch war es, als sei er in seligen Hoffnungsträumen entschlummert.
    Fräulein Wilhelmine setzte sich an das Hauptende der Rasenbank, so daß, wenn sie sich über das Antlitz des Alten beugte, ihr Atem seine Lippen berührte. Der Doktor nahm Platz auf einem mitgebrachten Feldstuhl vor dem Alten, so wie es die magnetische Operation zu erfordern schien. Während nun der Doktor sich mühte, den Alten auf die sanfteste Weise aus dem Schlafe zu bringen, sang das Fräulein Wilhelmine leise:
    »In der grünen Farbe glänzen,
    Ist die erste Wahl der Welt etc.«
    Der Alte schien den Duft des Gesträuchs, der Bäume, der vorzüglich stark war, da die Linden in voller Blüte standen, mit unendlicher Wonne einzuatmen. Endlich schlug er mit einem tiefen Seufzer die Augen auf und starrte um sich, doch, wie es schien, ohne einen Gegenstand deutlich ins Auge fassen zu können. Der Doktor zog sich leise zur Seite. Das Fräulein schwieg. Der Alte lallte kaum verständlich: »Grün!«
    Da ließ es die ewige Macht des Himmels geschehen, daß eine besondere anmutige Gunst des Schicksals die Liebe des Fräuleins lohnte und die Bemühungen des guten Doktors unterstützte. In dem Augenblick, als der Onkel das Wort: »Grün!« lallte, fuhr nämlich ein Vogel tirilierend durch die Äste des Baums, und von dem Flattern seines Gefieders brach ein blühender Zweig und fiel dem Alten auf die Brust.
    Da erwachte die Röte des Lebens auf dem Antlitze des Alten. Er erhob sich und rief begeistert mit emporgerichteten Augen: »Himmelsbote, seliger Himmelsbote, bringst du mir den Ölzweig des Friedens, bringst du mir das Grün, bringst du mir die Hoffnung selbst? Sei gegrüßt, du Hoffnung; ströme über in sehnsüchtiger Lust, blutendes Herz!« –
    Plötzlich schwächer werdend, lispelte er kaum hörbar: »Das ist der Tod« und sank auf die Rasenbank, von der er sich zur sitzenden Stellung kräftig erhoben, wieder zurück. Der junge Gehilfe des Doktors flößte ihm etwas Äther ein, und während Fräulein Wilhelmine aufs

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