Werke
Majestät seines Äußern einen Schritt entgegen, indem er unwillkürlich die Hand mit dem Rohrstock vorstreckte. Da war es, als träfe den wilden Kerl ein Blitz; er taumelte ein paar Schritte zurück, streckte die geballten Fäuste drohend empor und schrie: »Hoho! Ich weiß, wo mein Erbteil ist, ich will es mir verschaffen trotz dir, du alter Sünder!«
Er rannte pfeilschnell den Kaulberg hinab, von dem Volke verfolgt.
Erstarrt blieb Meister Wacht einige Sekunden im Flur stehen, bis er auf den angstvollen Zuruf Nannis: »Um Gott, Vater, das war Sebastian!« in die Stube hinein mehr schwankte, als ging, erschöpft auf einen Lehnsessel sank, beide Hände vors Gesicht hielt und mit erschütternder Stimme rief: »Ewige Barmherzigkeit des Himmels, das ist Sebastian Engelbrecht!«
Es entstand Lärm auf der Straße, das Volk strömte den Kaulberg herab, und ganz aus der Ferne riefen Stimmen: »Mord! Mord!«
Von den entsetzlichsten Ahnungen ergriffen, rannte der Meister hinab nach Jonathans Wohnung, die eben ganz am Fuße des Kaulbergs belegen.
Ein dichter Volkshaufe wälzte sich vor ihm her; in der Mitte desselben gewahrte er den wie ein wildes Tier sich sträubenden Sebastian, der soeben von der Wache zu Boden geworfen, so überwältigt, an Händen und Füßen geschlossen und eben abgeführt wurde.
»Jesus! Jesus! der Sebastian hat seinen Bruder erschlagen!« So wehklagte das Volk, welches sich aus dem Hause drängte. Meister Wacht machte sich Platz und fand den armen Jonathan unter den Händen der Ärzte, die sich mühten, ihn ins Leben zurückzurufen; drei mit der vollsten Kraft eines starken Mannes geführte Faustschläge auf den Kopf ließen das Schlimmste ahnen.
Nanni hatte, wie es gewöhnlich zu geschehen pflegt, durch liebreiche Freundinnen sogleich den ganzen Hergang der Sache erfahren und war nach des Geliebten Wohnung gestürzt, wo sie in dem Augenblicke anlangte, als der junge Advokat, kraft der verschwendeten Naphtha, wieder die Augen aufschlug und die Chirurgen vom Trepanieren sprachen. Man kann sich das übrige denken.
Nanni war trostlos, Rettel, trotz ihrer Brautschaft, in Trauer versenkt, und selbst Monsieur Pickard Leberfink versicherte, indem ihm die Tränen vor Wehmut über die Backen liefen, Gott solle dem gnädig sein, auf dessen Caput eine Zimmermannsfaust niederfalle; der Verlust des jungen Herrn Jonathans sei unersetzlich. Indessen solle der Lack seines Sarges an Glanz und Schwärze unübertrefflich sein, die Versilberung der Totenköpfe und anderer anmutiger Embleme ihresgleichen vergebens suchen.
Es ergab sich, daß Sebastian einem Trupp Landstreicher, der vom bayerschen Militär durch das Bambergische transportiert wurde, entsprungen und in die Stadt gelaufen war, um einen wahnsinnigen Vorsatz auszuführen, den er längst im Innern getragen. Sein Lebenslauf war nicht der eines verworfenen verruchten Bösewichts, sondern gab nur das Beispiel eines durchaus leichtsinnigen Menschen, der, der vortrefflichsten Gaben, die ihm die Natur verlieh, unerachtet, sich jeder Verlockung des Bösen preisgibt und zuletzt auf der höchsten Stufe des Lasters untergeht in Elend und Schmach.
Im Sächsischen war er einem Rabulisten in die Hände gefallen, der ihm weismachte, daß er von dem Meister Wacht bei der Auszahlung der väterlichen Erbschaft merklich verkürzt worden, und das zwar zugunsten seines Bruders Jonathan, dem er sein liebstes Töchterchen, namens Nanni, zum Weibe versprochen. Wahrscheinlich hatte der alte Betrüger sich dies Märchen aus verschiedenen Äußerungen Sebastians selbst zusammengesetzt. Der geneigte Leser weiß bereits, wie Sebastian sich Recht verschaffen wollte mit wilder Gewalt. Unmittelbar, als er den Meister Wacht verlassen, war er nämlich hinaufgestürmt in Jonathans Zimmer, wo dieser gerade vor dem Arbeitstische saß, eine Rechnung in Ordnung brachte und Geldrollen zählte, die vor ihm aufgehäuft lagen.
Der Schreiber saß in der andern Ecke des Zimmers.
»Ha, Verruchter!« schrie Sebastian wütend, »sitzest du bei deinem Mammon, zählst du, was du geraubt hast? Her damit, was der alte Bösewicht mir gestohlen und dir zugewandt hat. Du schwächlich Ding von geizigem lüsternem Satan!« Da Sebastian auf ihn eindrang, hielt Jonathan instinktmäßig abwehrend beide Hände vor und rief laut: »Bruder! um Gottes willen, Bruder!« Dafür versetzte ihm aber Sebastian mit der geballten Faust mehrere harte Schläge an den Kopf, so daß Jonathan ohnmächtig niedersank, packte
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