Werke
eiligst einige Geldrollen zusammen und wollte damit fort, welches ihm natürlicherweise nicht gelang.
Zum Glück fand es sich, daß keine von Jonathans Wunden, die äußerlich nur starke Beulen schienen, eine bedeutende Hirnerschütterung verursacht hatte, mithin für lebensgefährlich zu achten. Nach Verlauf von zwei Monaten, als Sebastian nach der Zuchtanstalt, wo er den versuchten Raubmord mit schwerer Strafe büßen sollte, abgeführt wurde, fühlte der junge Advokat sich völlig wiederhergestellt.
Der entsetzliche Vorfall hatte auf Meister Wacht so zerstörend eingewirkt, daß ein zehrender Mißmut davon die Folge war. Diesmal war die stammhafte Eiche von dem Wipfel bis zur tiefsten Wurzel erschüttert.
Oft, wenn man ihn mit ganz andern Dingen beschäftigt glaubte, vernahm man, wie er leise murmelte: »Sebastian! Brudermörder, du mir das getan!« und dann schien er aus einem tiefen Traum zu erwachen. Nur die stärkste, angestrengteste Arbeit erhielt ihn aufrecht. –
Doch wer ermißt die unerforschlichen Tiefen, in denen sich der verborgene Organismus der Gefühle so seltsam verkettet wie in Meister Wachts Seele! Der Abscheu gegen Sebastian und seine verruchte Tat verblaßte, indem das Bild des durch Jonathans Liebe verstörten Lebens sich immer in frischer Farbe lebendig erhielt.
Mancherlei kurze Äußerungen Meister Wachts bewiesen diese Gemütsstimmung. »Also dein Bruder sitzt auf dem Bau in Ketten? – die gegen dich gerichtete Tat hat ihn dahin gebracht? – es ist doch schlimm, schuld daran zu sein, daß der eigene Bruder den Bruder auf den Bau gebracht hat – möchte nicht in der Stelle dieses Bruders sein – doch Juristen denken anders, die wollen das Recht, d.h. sie wollen mit der Puppe spielen, die sie ausputzen und ihr einen Namen geben, wie sie wollen.« –
Dergleichen bittere, ja unverständige Worte mußte der junge Advokat nur zu oft von Meister Wacht hören. Nutzlos würde jeder Versuch der Widerlegung geblieben sein. Der junge Advokat entgegnete daher nichts, sondern brach oft, wenn ihm der verderbliche Wahn des Alten in dem sein ganzes Glück unterging, die Brust zermalmen wollte, im Übermaß des Schmerzes aus: »Vater, Vater, Ihr tut mir Unrecht, himmelschreiendes Unrecht!«
Eines Tages, als die Familie bei dem Lackierer Leberfink versammelt und Jonathan auch zugegen war, sprach Meister Wacht davon, daß jemand gemeint, wie der Sebastian Engelbrecht, sei er auch als Verbrecher verhaftet, doch Ansprüche gegen den Meister Wacht als seinen gewesenen Vormund im Wege des Rechts geltend machen könne. »Das wäre,« sprach der Meister giftig lachend, indem er sich zu Jonathan wandte, »das wäre so ein hübscher Prozeß für einen jungen Advokaten; ich dächte, du unternähmst den Rechtshandel, du bist vielleicht dabei selbst im Spiele, vielleicht habe ich dich auch betrogen.« Da fuhr der junge Advokat in die Höhe, seine Augen flammten, seine Brust flog auf und nieder, er schien plötzlich ein ganz anderer; er streckte die Hand gen Himmel empor und rief: »Nein, Ihr seid nicht mehr mein Vater, Ihr seid ein Wahnsinniger, der einem lächerlichen Vorurteil ohne Bedenken Ruh’ und Glück der liebsten Kinder opfert; nie seht Ihr mich wieder; ich gehe auf die Anträge, die mir heute der amerikanische Konsul gemacht hat, ein, fort nach Amerika!« – »Ja,« rief Wacht, ganz Zorn und Wut, »ja, fort aus meinen Augen, du dem Satan Verkaufter, du Bruder des Brudermörders!«
Mit einem vollen Blick, in dem alle trostlose Liebe, aller Schmerz, alle Verzweiflung des hoffnungslosesten Abschiedes lag, auf die halbohnmächtige Nanni verließ der Advokat schnell den Garten.
Schon früher während des Laufs der Geschichte wurde, als der junge Advokat sich à la Werther totschießen wollte, bemerkt, wie gut es sei, daß die dazu nötigen Pistolen mehrenteils nicht gleich bei der Hand. Hier ist es ebenso ersprießlich, anzuführen, daß der junge Advokat zu seinem eignen Besten sich nicht gleich auf der Regnitz einschiffen konnte, um geradesweges nach Philadelphia hinüberzuschiffen.
So geschah es, daß die Drohung, Bamberg und die geliebte Nanni auf ewig zu verlassen, auch in dem Augenblick noch unausgeführt geblieben, als endlich, nachdem aufs neue über zwei Jahre vergangen, der Hochzeitstag des Herrn Lackierer und Vergolder Leberfink herangekommen war.
Untröstlich würde Leberfink über diesen unbilligen Aufschub seines Glücks, den freilich das Entsetzliche, was in Wachts Hause Schlag auf
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