Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
Läden auf, doch der anbrechende Tag war trübe und traurig, wie das erlöschende arme Leben des Sterbenden. Von der Sonne war nichts zu sehen. Wolken verhüllten den Himmel mit einer dicken Nebelschicht, so regnerisch, düster und schwermütig war es. Ein feiner Regen schlug leise an die Fensterscheiben und rann in klaren, kalten Wasserstreifen an ihnen herab. Es war trüb und dunkel. Das bleiche Tageslicht drang nur spärlich ins Zimmer, wo es das zitternde Licht des Lämpchens vor dem Heiligenbilde kaum merklich verdrängte. Der Sterbende sah mich traurig, so traurig an und bewegte dann leise, wie zu einem müden Schütteln, den Kopf. Nach einer Minute starb er.
Für die Beerdigung sorgte Anna Fedorowna. Es wurde ein ganz, ganz einfacher Sarg gekauft und ein Lastwagen gemietet. Zur Deckung der Unkosten aber wurden alle Bücher und Sachen des Verstorbenen von Anna Fedorowna beschlagnahmt. Der Alte wollte ihr die Hinterlassenschaft seines Sohnes nicht abtreten,stritt mit ihr, lärmte, nahm ihr die Bücher fort, stopfte sie in alle Taschen, in den Hut, wo immer er sie nur unterbringen konnte, schleppte sie drei Tage mit sich herum und trennte sich auch dann nicht von ihnen, als wir zur Kirche gehen mußten. Alle diese Tage war er ganz wie ein Geistesgestörter. Mit einer seltsamen Geschäftigkeit machte er sich ewig etwas am Sarge zu schaffen: bald zupfte er ein wenig die grünen Blätter zurecht, bald zündete er die Kerzen an, um sie wieder auszulöschen und dann wieder anzuzünden. Man sah es, daß seine Gedanken nicht länger als einen Augenblick bei etwas Bestimmtem verweilen konnten.
Der Totenmesse in der Kirche wohnten weder Mama noch Anna Fedorowna bei. Mama war krank, Anna Fedorowna aber, die sich bereits angekleidet hatte, geriet wieder mit dem alten Pokrowskij in Streit, ärgerte sich und blieb zu Haus. So waren nur ich und der Alte in der Kirche. Während des Gottesdienstes ergriff mich plötzlich eine unsagbare Angst – wie eine dunkle Ahnung dessen, was mir bevorstand. Ich konnte mich kaum auf den Füßen halten.
Endlich wurde der Sarg geschlossen, auf den Lastwagen gehoben und fortgeführt. Ich begleitete ihn nur bis zum Ende der Straße. Dann fuhr der Fuhrmann im Trab weiter. Der Alte lief hinter ihm her und weinte laut, und sein Weinen zitterte und brach oft ab, da das Laufen ihn erschütterte. Der Arme verlor seinen Hut, blieb aber nicht stehen, um ihn aufzuheben, sondern lief weiter. Sein Kopf wurde naß vom Regen. Ein scharfer, kalter Wind erhob sich und schnitt ins Gesicht. Doch der Alte schien nichts davon zu spürenund lief weinend weiter, bald an der einen, bald an der anderen Seite des Wagens. Die langen Schöße seines fadenscheinigen alten Ueberrocks flatterten wie Flügel im Winde. Aus allen Taschen sahen Bücher hervor und im Arm trug er irgendein großes schweres Buch, das er krampfhaft umklammerte und an die Brust drückte. Die Vorübergehenden nahmen die Mützen ab und bekreuzten sich. Einige blieben stehen und schauten verwundert dem armen Alten nach. Alle Augenblicke fiel ihm aus einer Tasche ein Buch in den Straßenschmutz. Dann rief man ihn an, hielt ihn zurück und machte ihn auf seinen Verlust aufmerksam. Und er hob das Buch auf und lief wieder weiter, dem Sarge nach. Kurz vor der Straßenecke schloß sich ihm eine alte Bettlerin an und folgte gleichfalls dem Sarge. Endlich bog der Wagen um die Straßenecke und verschwand.
Ich ging nach Hause. Zitternd vor Weh warf ich mich meiner Mutter an die Brust. Ich umschlang sie fest mit meinen Armen und küßte sie und plötzlich brach ich in Tränen aus. Und ich schmiegte mich angstvoll an die einzige, die mir als mein letzter Freund noch geblieben war, als hätte ich sie für immer festhalten wollen, damit der Tod mir nicht auch sie noch entreiße …
Doch der Tod schwebte damals schon über meiner armen Mutter …
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11. Juni.
Wie dankbar bin ich Ihnen, Makar Alexejewitsch, für den gestrigen Spaziergang nach den Inseln! Wie schön es dort war, wie wundervoll grün, und die Luft wie köstlich! – Ich hatte so lange keinen Rasen undkeine Bäume gesehen, – als ich krank war, dachte ich doch, daß ich sterben müsse, daß ich bestimmt sterben werde – nun können Sie sich denken, was ich gestern fühlen mußte, und was empfinden!
Seien Sie mir nicht böse, daß ich so traurig war. Ich fühlte mich sehr wohl und leicht, aber gerade in meinen besten Stunden werde
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