Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
wird.
Mein Unglück begann mit der Krankheit und dem Tode Pokrowskijs.
Es waren etwa zwei Monate seit seinem Geburtstage vergangen, als er erkrankte. In diesen zwei Monaten hatte er sich unermüdlich um eine Anstellung, die ihm eine Existenzmöglichkeit gewährt hätte, bemüht, denn bis dahin hatte er ja noch nichts. Wie alle Schwindsüchtigen, gab auch er die Hoffnung, noch lange zu leben, bis zum letzten Augenblick nicht auf. Einmal sollte er irgendwo als Lehrer angestellt werden, doch hatte er einen unüberwindlichen Widerwillen gegen diesen Beruf. In den Staatsdienst zu treten, verbot ihm seine angegriffene Gesundheit. Außerdem hätte er dort lange auf das erste etatsmäßige Gehalt warten müssen. Kurz, Pokrowskij sah überall nichts als Mißerfolge. Das war natürlich von schlechtem Einfluß auf ihn. Er rieb sich auf. Er opferte seineGesundheit. Freilich beachtete er es nicht. Der Herbst kam. Jeden Tag ging er in seinem leichten Mantel aus, um wieder irgendwo um eine Anstellung zu bitten, – was ihm dabei eine Qual war. Und so kam er dann immer müde, hungrig, vom Regen durchnäßt und mit nassen Füßen nach Haus, bis er endlich so weit war, daß er sich zu Bett legen mußte – um nicht wieder aufzustehen … Er starb im Spätherbst, Ende Oktober.
Ich pflegte ihn. Während der ganzen Dauer seiner Krankheit verließ ich nur selten sein Zimmer. Oft schlief ich ganze Nächte nicht. Meist lag er bewußtlos im Fieber und phantasierte; dann sprach er Gott weiß wovon, zuweilen auch von der Anstellung, die er in Aussicht hatte, von seinen Büchern, von mir, vom Vater … und da erst hörte ich vieles von seinen Verhältnissen, was ich noch gar nicht gewußt und nicht einmal geahnt hatte.
In der ersten Zeit seiner Krankheit und meiner Pflege sahen mich alle im Hause etwas sonderbar an, und Anna Fedorowna schüttelte den Kopf. Doch ich blickte allen offen in die Augen, und da hörte man denn auf, meine Teilnahme für den Kranken zu verurteilen – wenigstens Mama tat es nicht mehr.
Hin und wieder erkannte mich Pokrowskij, doch geschah das verhältnismäßig selten. Er war fast die ganze Zeit nicht bei Besinnung. Bisweilen sprach er lange, lange, oft ganze Nächte lang in unklaren, dunklen Worten zu irgend jemand, und seine heisere Stimme klang in dem engen Zimmer so dumpf wie in einem Sarge. Dann fürchtete ich mich. Namentlichin der letzten Nacht war er wie rasend: er litt entsetzlich und quälte sich, und sein Stöhnen zerriß mir das Herz. Alle im Hause waren erschüttert. Anna Fedorowna betete die ganze Zeit, Gott möge ihn schneller erlösen. Der Arzt wurde gerufen. Er sagte, daß der Kranke wohl nur noch bis zum nächsten Morgen leben werde.
Der alte Pokrowskij verbrachte die ganze Nacht im Korridor, dicht an der Tür zum Zimmer seines Sohnes: dort hatte man ihm ein Lager zurecht gemacht, irgendeine Matte als Unterlage auf den Fußboden gelegt. Jeden Augenblick kam er ins Zimmer, – es war schrecklich, ihn anzusehen. Der Schmerz hatte ihn so gebrochen, daß er fast vollkommen teilnahmslos, ganz gefühllos und gedankenlos erschien. Sein Kopf zitterte. Sein ganzer Körper zitterte und sein Mund flüsterte mechanisch irgend etwas vor sich hin. Es schien mir, daß er vor Schmerz den Verstand verlieren werde.
Vor Tagesanbruch sank der Alte auf seiner Matte im Korridor endlich in Schlaf. Gegen acht Uhr begann der Sohn zu sterben. Ich weckte den Vater. Pokrowskij war bei vollem Bewußtsein und nahm von uns allen Abschied. Seltsam! Ich konnte nicht weinen, aber ich glaubte es körperlich zu fühlen, wie mein Herz in Stücke zerriß.
Doch das Qualvollste waren für mich seine letzten Augenblicke. Er bat lange, lange um irgend etwas, doch konnte ich seine Worte nicht mehr verstehen, da seine Zunge bereits steif war. Mein Herz krampfte sich zusammen. Eine ganze Stunde war er unruhig, undimmer wieder bat er um irgend etwas, bemühte er sich, mit seiner bereits steif gewordenen Hand ein Zeichen zu machen, um dann wieder mit trauriger, dumpf-heiserer Stimme um etwas zu bitten – doch die Worte waren nur zusammenhanglose Laute, und wieder konnte ich nichts verstehen. Ich führte alle einzeln an sein Bett, reichte ihm zu trinken, er aber schüttelte immer nur langsam den Kopf und sah mich so traurig an. Endlich erriet ich, was er wollte: er bat, den Fenstervorhang aufzuziehen und die Läden zu öffnen. Er wollte wohl noch einmal den Tag sehen, das Gotteslicht, die Sonne.
Ich zog den Vorhang fort und stieß die
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