Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
empörte. Und deshalb wollen wir erstens seiner gedenken, meine Herren, unser ganzes Leben lang. Und zweitens: Mögen wir auch mit den wichtigsten Dingen beschäftigt sein, mögen wir hohe Ehren erreicht haben oder in ein großes Unglück geraten sein – gleichviel, vergessen Sie niemals, wie wohl wir uns hier alle zusammen einmal gefühlt haben, vereint durch eine gute, edle Empfindung, die uns für die Zeit unserer Liebe zu dem armen Jungen vielleicht besser gemacht hat, als wir in Wirklichkeit sind. Meine Tauben – gestatten Sie, daß ich Sie Tauben nenne, denn Sie haben große Ähnlichkeit mit diesen hübschen, graublauen Tierchen, gerade jetzt in diesem Augenblick, wo ich Ihre guten, lieben Gesichter ansehe –, meine lieben Kinder, vielleicht verstehen Sie nicht, was ich Ihnen sage, denn ich rede oft sehr unverständlich; aber Sie werden es doch im Gedächtnis behalten und später einmal meinen Worten zustimmen. Wissen Sie also, daß es nichts gibt, was höher, stärker, gesünder und für das bevorstehende Leben nützlicher wäre als irgendeine gute Erinnerung, und besonders eine, die noch aus der Kindheit, aus dem Elternhaus herrührt. Man erzählt Ihnen viel von Ihrer Erziehung, aber eine schöne, heilige Erinnerung, die man sich aus der Kindheit bewahrt hat, ist vielleicht die allerbeste Erziehung. Wer viele solche Erinnerungen mit ins Leben nimmt, ist fürs ganze Leben gerettet. Und selbst wenn sich nur eine einzige gute Erinnerung in unserem Herzen erhält, so kann auch die uns einmal zur Rettung dienen. Leicht möglich, daß wir später einmal schlecht werden, daß wir nicht imstande sind, der Verlockung zu einer bösen Tat zu widerstehen, daß wir uns über Menschentränen boshaft lustig machen und über Menschen, die so denken, wie es Kolja vorhin ausdrückte: ›Ich möchte für alle Menschen leiden!‹ Doch wie schlecht wir auch vielleicht werden, was Gott verhüten möge – wir werden uns doch daran erinnern, wie wir Iljuscha begruben und wie wir ihn in den letzten Tagen liebten und wie wir jetzt an diesem Stein so freundschaftlich miteinander gesprochen haben, und bei dieser Erinnerung wird selbst der Hartherzigste und Spottlustigste von uns, falls wir solche Menschen werden sollten, nicht wagen, sich innerlich darüber lustig zu machen, wie edel und gut er in diesem Augenblick gewesen ist! Ja noch mehr: Vielleicht wird ihn gerade diese eine Erinnerung von einer großen Übeltat zurückhalten, und er wird anderen Sinnes werden und sich sagen: ›Ich war doch damals gut und mutig und ehrenhaft!‹ Mag er auch vor sich hin lächeln, das schadet nichts. Der Mensch lacht häufig über das Schöne und Gute, das geschieht nur aus Leichtsinn; aber ich versichere Ihnen, meine Freunde, sobald er lächelt, wird er sich sogleich in seinem Inneren sagen: ›Nein, es war unrecht von mir zu lächeln, darüber darf man sich nicht lustig machen!‹«
»So wird es ganz bestimmt sein, Karamasow! Ich verstehe Sie, Karamasow!« rief Kolja mit blitzenden Augen.
Die anderen waren in starker Erregung und wollten ebenfalls etwas sagen, beherrschten sich jedoch und sahen Aljoscha nur unverwandt und gerührt an.
»Das sage ich für den möglichen schlimmen Fall, daß wir schlechte Menschen werden«, fuhr Aljoscha fort. »Aber warum sollen wir denn schlechte Menschen werden, nicht wahr, meine Freunde? Wir werden erstens und vor allen Dingen gute Menschen sein, zweitens ehrenhafte Menschen, und drittens werden wir einander niemals vergessen. Das wiederhole ich immer wieder. Ich meinerseits gebe Ihnen mein Wort darauf, meine Freunde, daß ich keinen von Ihnen vergessen werde! An jedes Gesicht, das mich in diesem Moment ansieht, werde ich mich erinnern, selbst nach dreißig Jahren noch. Vorhin hat Kolja zu Kartaschow gesagt, uns liege nichts daran zu wissen, ob er auf der Welt sei oder nicht. Aber könnte ich etwa vergessen, daß Kartaschow auf der Welt ist, daß er auch jetzt noch so rot wird wie damals, als er Troja entdeckte, und daß er mich mit seinen prächtigen, guten, heiteren Augen ansieht? Meine Herren, meine lieben Freunde, lassen Sie uns alle hochherzig und mutig werden wie Iljuschetschka, klug, mutig und hochherzig wie Kolja, der mit zunehmendem Alter jedoch noch weit klüger werden wird, und ebenso verschämt, aber vernünftig und liebenswürdig wie Kartaschow. Doch weshalb rede ich nur von diesen beiden? Sie alle, meine Freunde, sind mir von nun an lieb, Sie alle schließe ich in mein Herz! Und ich bitte
Weitere Kostenlose Bücher