Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
kaufen geschickt. Er blieb stehen, ich errötete, und auch er errötete; schließlich lachte er, sagte mir guten Tag, erkundigte sich nach Großmutters Befinden und fragte: ›Nun, haben Sie die Bücher gelesen?‹ Ich antwortete: ›Ja, wir haben sie gelesen.‹ – ›Was hat Ihnen am besten gefallen?‹ – ›Ivanhoe und Puschkin haben mir am besten gefallen.‹ Damit endete diesmal unser Gespräch.
Nach acht Tagen traf ich ihn wieder auf der Treppe. Diesmal hatte mich nicht Großmutter geschickt, sondern ich mußte selbst etwas besorgen. Es war gerade um drei Uhr nachmittags, also um die Stunde, wo er gewöhnlich nach Hause zu kommen pflegte. ›Guten Tag!‹ sagte er mir. ›Guten Tag!‹ antwortete ich.
›Ist es Ihnen gar nicht langweilig, so den ganzen Tag mit der Großmutter zu sitzen?‹ fragte er mich.
Als er das fragte, wurde ich, ich weiß nicht warum, über und über rot; ich schämte mich, und es tat mir weh, daß sich schon Fremde über meine Lage erkundigten. Ich wollte sogar gehen, ohne ihm Antwort zu geben, brachte es aber nicht übers Herz.
›Hören Sie doch!‹ sagte er weiter, ›Sie sind wirklich ein gutes Mädchen! Entschuldigen Sie, daß ich mit Ihnen so spreche, doch ich versichere Sie, daß ich Ihnen nur alles Gute wünsche. Haben Sie denn gar keine Freundinnen, die Sie einmal besuchen könnten?‹
Ich sagte ihm, daß ich gar keine Freundinnen habe; ich hätte wohl eine Freundin, namens Maschenka gehabt, diese sei aber nach Pskow verzogen.
›Hören Sie,‹ sagte er drauf, ›möchten Sie nicht einmal mit mir ins Theater gehen?‹
›Ins Theater? Und was wird Großmutter sagen?‹
›Das müssen Sie eben hinter ihrem Rücken machen ...‹
›Nein,‹ sagte ich, ›ich will meine Großmutter nicht betrügen. Leben Sie wohl!‹
›Gut, leben Sie wohl!‹ sagte er. Sonst sagte er nichts.
Doch am Nachmittag kam er zu uns herunter; er nahm Platz, unterhielt sich lange mit Großmutter, fragte sie, ob sie irgendwohin ausfahre, ob sie Bekannte habe und sagte plötzlich so nebenbei: ›Ich habe für heute abend eine Loge in die Oper genommen. Der Barbier von Sevilla wird gegeben. Bekannte wollten mitgehen. Nun sagten sie ab, und so sitze ich mit dem Billett.‹
›Der Barbier von Sevilla!‹ rief Großmutter aus. ›Ist es derselbe Barbier, den man in der alten Zeit zu geben pflegte?‹
›Ja,‹ sagte er, ›es ist derselbe!‹ Und dabei warf er mir einen Blick zu. Ich hatte schon alles begriffen, und das Herz hüpfte mir in freudiger Erwartung!
›Wie sollte ich ihn nicht kennen?‹ sagte Großmutter: ›Habe ich doch selbst einmal vor vielen Jahren bei einer Liebhaberaufführung die Rosine gespielt!‹
›Würden Sie vielleicht heute mitkommen?‹ fragte der Mieter. ›Sonst verfällt ja mein Billett unbenutzt.‹
›Warum denn nicht?‹ sagte Großmutter. ›Gerne! Meine Nastenka ist ja noch nie im Theater gewesen.‹
Mein Gott, diese Freude! Wir machten uns gleich bereit, kleideten uns um und fuhren hin. Großmutter ist zwar blind, wollte aber doch gern die Musik hören; und dann ist sie ja auch eine gute Seele: sie tat es mehr, um mir ein Vergnügen zu bereiten. Denn sonst wären wir wohl nie in die Oper gekommen. Welchen Eindruck auf mich der Barbier machte, das will ich Ihnen gar nicht sagen. Aber unser Mieter sah mich den ganzen Abend so freundlich an und sprach zu mir so herzlich, daß ich mir gleich sagte, er wollte mich heute früh nur prüfen, als er mir vorschlug, ich möchte mit ihm allein ins Theater gehen! Nein, diese Freude! Als ich an diesem Abend zu Bett ging, war ich so stolz, so froh, und hatte solches Herzklopfen, daß ich beinahe fieberte. Die ganze Nacht phantasierte ich vom ›Barbier von Sevilla‹.
Ich glaubte, daß er uns von nun an öfter besuchen würde. Aber das fiel ihm gar nicht ein. Er hörte fast auf, zu uns zu kommen. Höchstens einmal im Monat kam er herunter, und jedesmal nur um uns aufzufordern, mit ihm ins Theater zu gehen. So an die zweimal gingen wir mit ihm auch wirklich hin. Dieses Benehmen gefiel mir gar nicht. Ich sah, daß er mit mir einfach Mitleid hatte, weil ich von der Großmutter so behandelt wurde, und sonst nichts. Je mehr ich darüber nachdachte, um so mehr kränkte es mich; schließlich konnte ich weder lesen, noch arbeiten, noch überhaupt ruhig auf einem Platze sitzen; manchmal lachte ich und stellte irgendwelche Streiche an, über die sich Großmutter ärgern mußte, und manchmal weinte ich. Schließlich kam ich so
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