Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
lebt. Auch ich bin Ihnen dankbar dafür, daß wir uns begegnet sind, dafür, daß ich nun mein Leben lang an Sie denken werde!«
»Nun genug! Ich muß Ihnen noch etwas sagen: Wir haben damals ausgemacht, daß er gleich nach seiner Rückkehr mir Nachricht gibt, und zwar durch einen Brief, den er bei meinen Bekannten, guten und einfachen Leuten, die von der ganzen Sache nichts wissen, für mich abgibt; und wenn es ihm unmöglich sein sollte, mir einen Brief zu schreiben, weil man in einem Briefe doch nicht alles aussprechen kann, so wollte er gleich am Tage seiner Ankunft um punkt zehn Uhr abends hierher kommen, wo wir uns also treffen würden. Daß er zurückgekehrt ist, weiß ich bestimmt; und nun sind schon drei Tage vergangen, und er hat mir weder einen Brief geschickt, noch ist er selbst hergekommen. Am Vormittag kann ich unmöglich von Großmutter abkommen. Darum bitte ich Sie, Sie möchten selbst den Brief morgen zu den guten Leuten bringen, von denen ich eben sprach und die ihn dann weitergeben werden. Und wenn eine Antwort darauf kommt, so möchten Sie sie morgen abends um zehn Uhr hierher bringen.«
»Aber der Brief selbst! Der muß ja erst noch geschrieben werden! Die Antwort kann also doch frühestens übermorgen kommen!«
»Ja, der Brief ...« versetzte Nastenka etwas verlegen. »Der Brief ... aber ...«
Sie sprach den Satz nicht zu Ende. Sie wandte ihr Gesichtchen etwas weg, wurde rot wie eine Rose, und plötzlich fühlte ich in meiner Hand einen Brief, den sie wohl schon längst geschrieben und versiegelt hatte. Eine alte, liebe, anmutige Erinnerung ging mir durch den Kopf!
»R, o – Ro, s, i – si, n, a – na!« begann ich.
»Rosina!« sangen wir beide: ich, sie vor Entzücken beinahe umarmend, sie – noch mehr errötend und durch Tränen, die wie Perlen an ihren dunklen Wimpern glänzten, lachend.
»Nun ist's genug, genug! Leben Sie wohl!« sagte sie hastig. »Sie haben also den Brief und die Adresse, wo Sie ihn abgeben sollen. Leben Sie wohl! Auf Wiedersehen morgen!«
Sie drückte mir fest beide Hände, nickte mir zu und lief wie ein Pfeil in ihre Seitengasse. Ich blieb noch lange stehen und begleitete sie mit den Blicken.
»Also morgen! Morgen!« sagte ich mir, als sie meinen Blicken entschwunden war.
Die dritte Nacht
Heute war ein trauriger, regnerischer Tag, so trostlos, wie das mich erwartende Alter. Mich bedrücken jetzt so seltsame Gedanken und dunkle Gefühle, und in meinem Kopfe drängen sich so viele für mich noch unklare Fragen, – und doch habe ich weder die Kraft, noch den Wunsch, sie zu lösen. Wie könnte ich sie auch lösen!
Heute werden wir uns nicht wiedersehen. Als wir uns gestern abends verabschiedeten, begann sich der Himmel zu bewölken, und ein Nebel stieg auf. Ich sagte noch, daß wir heute einen schlechten Tag haben werden; sie erwiderte darauf nichts, denn sie wollte nicht gegen ihre Überzeugung sprechen: für sie ist dieser Tag leicht und heiter, und ihr Glück von keiner Wolke bedroht.
»Wenn es regnet, werden wir uns nicht sehen!« sagte sie: »Dann komme ich nicht!«
Ich erwartete, daß sie den heutigen Regen gar nicht bemerken würde, sie kam aber wirklich nicht.
Gestern war unser drittes Beisammensein, unsere dritte weiße Nacht ...
Wie doch Freude und Glück einen Menschen schön machen! Wie glüht das Herz in Liebe! Man will sein Herz gleichsam in das Herz des andern ausschütten, man will, daß alles froh sei und lache! Und wie ansteckend ist diese Freude: In ihren Worten lag gestern solche Zärtlichkeit zu mir, und in ihrem Herzen soviel Güte! ... Wie sie mir den Hof machte, wie freundlich sie zu mir war, wie sie mein Herz ermutigte und umschmeichelte! Wie kokett wird man doch im Glück! Und ich ... Ich nahm alles für bare Münze, ich glaubte, daß sie ...
Mein Gott, wie durfte ich das glauben? Wie konnte ich so blind sein, wo ich wußte, daß alles einem andern und nicht mir gehört, wo selbst ihre ganze Zärtlichkeit, ihre Besorgtheit um mich, ihre Liebe ... ja, ihre Liebe zu mir! – nichts anderes war, als die Freude über das nahende Wiedersehen mit dem andern, als der Wunsch, auch mich mit ihrer Glückseligkeit anzustecken? ... Und als er nicht gekommen war, als wir vergebens gewartet hatten, da wurde sie doch traurig, scheu und ängstlich. Alle ihre Bewegungen und Worte waren auf einmal nicht mehr so leicht, spielerisch und freudig wie früher. Und seltsam: sie verdoppelte ihre Aufmerksamkeit gegen mich, als ob sie mir instinktiv
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