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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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es mir, als ob ich mich an eine alte Melodie, die ich einmal irgendwo gehört und nachher vergessen hatte, wieder erinnerte. Es war mir, als ob diese Melodie mein Leben lang aus meiner Seele hinaus wollte, und erst jetzt ...«
    »Mein Gott!« unterbrach mich Nastenka. »Was wollen Sie damit sagen? Ich verstehe ja kein Wort!«
    »Ach Nastenka! Ich wollte ja nur diese seltsame Empfindung wiedergeben ...« begann ich mit weinerlicher Stimme, in der noch eine, wenn auch sehr schwache Hoffnung bebte.
    »Lassen Sie es! Genug!« fiel sie mir ins Wort. In einem Augenblick hatte sie mich durchschaut, die Schelmin!
    Plötzlich wurde sie ungewöhnlich gesprächig, lustig und ausgelassen. Sie nahm meinen Arm, lachte, verlangte von mir, daß auch ich lache und beantwortete jedes verlegene Wort, das ich sprach, mit hellem, nicht enden wollendem Lachen ... Ich fing an ärgerlich zu werden; nun kokettierte sie plötzlich:
    »Hören Sie einmal,« sagte sie: »eigentlich ärgere ich mich, daß Sie sich in mich nicht verliebt haben. Da soll man sich noch in einem Menschen auskennen! Und doch müssen Sie, mein gestrenger Herr, lobend anerkennen, daß ich mich so einfach gebe. Ich erzähle Ihnen ja alles, sage alles, was mir für Dummheiten auch in den Sinn kommen.«
    »Hören Sie? Ich glaube, es schlägt elf!« unterbrach ich sie, als sich von einem fernen Uhrturm abgemessene Glockentöne vernehmen ließen. Sie hielt plötzlich inne, lachte nicht mehr und zählte die Glockenschläge.
    »Ja, es ist elf!« sagte sie schließlich mit zaghafter, unsicherer Stimme.
    Ich bereute sofort, daß ich sie so erschreckte, indem ich sie die Glockenschläge zählen ließ, und ich verwünschte meinen Anfall von Bosheit. Sie tat mir leid, und ich wußte gar nicht, wie ich mein Vergehen wieder gut machen sollte. Ich begann sie zu trösten und Erklärungen, Gründe und Beweise für sein langes Ausbleiben zu erfinden. Niemand ließe sich leichter betrügen als sie in diesem Augenblick; in ähnlicher Lage ist ja jeder Mensch für Trost empfänglich und froh, wenn man ihm auch nur den Schatten einer Rechtfertigung vorbringt.
    »Ihre Aufregung ist wirklich lächerlich,« sagte ich, immer mehr in Ekstase kommend und von der Klarheit meiner eigenen Beweise entzückt: »Er konnte ja heute überhaupt noch nicht kommen; Sie haben auch mich verführt und verwirrt, so daß ich aus jeder Zeitrechnung herausgekommen bin ... Bedenken Sie doch selbst: den Brief hat er ja erst eben bekommen; setzen Sie den Fall, daß er aus irgendeinem Grunde nicht kommen konnte und Ihnen auch sofort geschrieben hat, daß er verhindert ist. Diese Antwort kann aber frühestens morgen kommen. Ich will morgen in aller Frühe den Brief abholen gehen und Ihnen dann sofort Nachricht geben. Sie können sich tausend Möglichkeiten denken: zum Beispiel, daß er nicht zu Hause war, als der Brief kam, so daß er ihn noch gar nicht gelesen hat. Es ist ja alles möglich.«
    »Ja, ja!« fiel mir Nastenka ins Wort. »Ich habe daran gar nicht gedacht! Es ist ja wirklich alles möglich,« fuhr sie mit nachgiebiger Stimme fort, in der aber, wie ein ärgerlicher Mißton, auch ein anderer entfernter Gedanke zu hören war. »Ich bitte Sie also folgendes zu tun: gehen Sie morgen in aller Frühe hin, und wenn Sie etwas von ihm vorfinden, geben Sie mir sofort Nachricht. Sie wissen ja, wo ich wohne?« Und sie sagte mir noch einmal ihre Adresse.
    Dann wurde sie plötzlich so zärtlich, so lieb zu mir ... Sie schien aufmerksam allen meinen Worten zu lauschen; doch als ich mich an sie mit irgendeiner Frage wandte, gab sie keine Antwort, wurde verlegen und wandte ihr Köpfchen weg. Ich blickte ihr in die Augen; ich hatte mich nicht getäuscht: sie weinte.
    »Wie können Sie nur? Ach was für ein Kind Sie noch sind! Ein kleines Kind! ... Hören Sie doch auf!«
    Sie versuchte zu lächeln und ruhig zu erscheinen, doch ihr Kinn zitterte noch immer und ihre Brust wogte.
    »Ich denke eben über Sie,« sagte sie nach kurzem Schweigen. »Sie sind so gütig, daß ich aus Stein sein müßte, um es nicht zu fühlen. Wissen Sie, was mir eben durch den Kopf geht? Ich habe Sie beide verglichen. Warum ist er nicht Sie? Warum ist er nicht so wie Sie? Er ist schlechter als Sie, und doch liebe ich ihn mehr.«
    Ich sagte darauf nichts. Sie erwartete aber wohl, daß ich etwas sage.
    »Es ist allerdings möglich,« sagte sie fortfahrend, »daß ich ihn noch nicht genügend kenne und nicht recht verstehe. Wissen Sie: es ist mir, als

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