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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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das geben wollte, was sie sich selbst ersehnte und worum sie bangte, daß es vielleicht nicht eintreffen werde. Meine Nastenka war so entmutigt und verängstigt, daß sie schließlich einsah, wie sehr ich sie liebte; und sie hatte Mitleid mit meiner unglücklichen Liebe. Wenn wir unglücklich sind, empfinden wir fremdes Leid stärker; unser Gefühl zerstreut sich dann nicht so, sondern wird konzentrierter ...
    Ich kam also gestern zum Stelldichein mit übervollem Herzen und konnte sie kaum erwarten. Ich ahnte noch gar nicht, was ich später empfinden würde und daß alles anders enden sollte, als ich gedacht hatte. Sie strahlte vor Freude, denn sie erwartete seine Antwort. Die Antwort sollte er selbst sein: er sollte ja kommen, auf ihren Ruf herbeieilen. Sie kam um eine ganze Stunde früher als ich. Anfangs war sie ganz ausgelassen und lachte über alles und über jedes Wort, das ich sprach. Ich versuchte mit ihr ernst zu sprechen, mußte es aber aufgeben. »Wissen Sie, warum ich so lustig bin?« fragte sie: »Warum ich mich freue, wenn ich Sie bloß ansehe? Warum ich Sie heute so liebe?«
    »Nun?« fragte ich mit bebendem Herzen.
    »Ich liebe Sie, weil Sie sich in mich nicht verliebt haben. Jeder andere an Ihrer Stelle würde wohl zudringlich werden, würde schmachten, stöhnen und mich beunruhigen; doch Sie sind so nett!«
    Sie drückte meine Hand so fest zusammen, daß ich fast aufschrie. Sie lachte. Nach einer Minute begann sie sehr ernst:
    »Mein Gott! Was für ein guter Freund Sie sind! Ja, Sie sind mir wirklich von Gott gesandt! Wie stünde ich jetzt da, wenn ich Sie nicht hätte! Wie uneigennützig Sie sind! Wie gütig ist Ihre Liebe zu mir! Wenn ich einmal verheiratet bin, werden wir beide Freunde sein, mehr als Geschwister! Ich werde Sie fast ebenso lieben, wie ihn ...«
    In diesem Augenblick wurde mir so seltsam traurig zumute; dabei regte sich aber in meiner Seele etwas wie Lachen.
    »Sie sind zu sehr erregt,« sagte ich, »Sie haben Angst: Sie fürchten, daß er nicht kommt.«
    »Was fällt Ihnen ein!« antwortete sie. »Wenn ich jetzt nicht so glücklich wäre, so müßte ich weinen, weil Sie mich mißverstehen und mir Vorwürfe machen! Sie haben mich übrigens auf einen Gedanken gebracht, ich werde darüber später nachdenken ... Jetzt will ich nur gestehen, daß Sie vielleicht auch recht haben: Ja, ich bin wirklich ganz aus Rand und Band; ich bin ganz Erwartung und nehme daher alles zu leicht. Genug davon, wollen wir doch nicht mehr von Gefühlen sprechen ...«
    In diesem Augenblick ließen sich Schritte vernehmen, und in der Dunkelheit zeigte sich eine Gestalt, die sich uns zu nähern schien. Wir beide begannen zu zittern; sie schrie fast auf. Ich ließ ihre Hand aus der meinigen los und machte eine Bewegung, als ob ich mich zurückziehen wollte. Doch wir hatten uns getäuscht: es war nicht er.
    »Was fürchten Sie? Warum zogen Sie Ihre Hand zurück?« fragte sie, sie mir wieder gebend. »Was ist denn? Wir wollen ihn doch gemeinsam erwarten? Ich will, daß er sieht, wie wir einander lieben!«
    »Wie wir einander lieben!« rief ich aus.
    Oh Nastenka, Nastenka! – sagte ich zu mir selbst: – wieviel hast du mir mit diesem Worte gesagt! Vor solcher Liebe erkaltet manchmal das Herz, und die Seele wird matt und traurig. Deine Hand ist kalt, die meinige ist fiebernd heiß. Wie blind du bist, Nastenka! Wie unerträglich ein glücklicher Mensch manchmal sein kann! Doch ich kann dir nicht zürnen! ...
    Schließlich mußte mein Herz überfließen, und ich rief:
    »Hören Sie, Nastenka! Wissen Sie, wie ich den heutigen Tag verbracht habe?«
    »Nun wie, wie denn? Erzählen Sie es rasch! Warum haben Sie bisher geschwiegen?«
    »Zunächst habe ich also alle Ihre Bestellungen ausgeführt, habe den Brief abgegeben, Ihre Bekannten besucht; und dann ... dann ging ich nach Hause und legte mich schlafen.«
    »Ist das alles?« unterbrach Sie mich lachend.
    »Ja, das ist beinahe alles,« erwiderte ich mit großer Selbstüberwindung, denn törichte Tränen wollten mir in die Augen treten. »Eine Stunde vor dem verabredeten Stelldichein erwachte ich, es war mir aber, als ob ich gar nicht geschlafen hätte. Ich weiß nicht, was mit mir vorging. Ich ging her, um Ihnen das alles zu erzählen; es war mir, als wäre die Zeit stehen geblieben, als müßte eine gewisse Empfindung in mir von nun an ewig dauern, als müßte dieser Augenblick zu einer Ewigkeit erstarren und mein ganzes Leben stille stehen ... Als ich erwachte, war

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