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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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eine Mitgift von dreimalhunderttausend Rubel besaß, beinahe eingenickt, als plötzlich Julian Mastakowitsch ins Zimmer trat.
    Irgendeine Streitigkeit unter den Kindern hatte die Aufmerksamkeit der andern Gäste auf sich gezogen, und er schlich sich unbemerkt aus dem Saal hinaus. Ich hatte bemerkt, wie er kurz vorher mit dem Papa der zukünftigen reichen Braut, mit dem er erst soeben bekannt geworden war, über die Vorzüge irgendeiner Beamtenlaufbahn vor einer andern gesprochen hatte. Nun stand er in Nachdenken versunken da und schien etwas an den Fingern zu rechnen.
    »Dreihundert ... dreihundert,« flüsterte er. »Elf ... zwölf ... dreizehn ... Bis sechzehn sind noch fünf Jahre! Nehmen wir an vier auf hundert, macht zwölf; fünfmal zwölf macht sechzig; nun auf diese sechzig ... Im ganzen werden es in fünf Jahren vierhundert sein ... Ja! Nicht übel ... Er wird sie aber nicht zu vier auf hundert liegen haben, der Spitzbube. Der wird schon acht oder gar zehn für hundert nehmen. Es werden also wenigstens fünfmalhunderttausend sein, das ist sicher; und der Rest geht dann für die Aussteuer, hm ...«
    Er beendigte seine Berechnungen, schneuzte sich und wollte schon das Zimmer wieder verlassen, als er plötzlich das Mädchen bemerkte. Ich saß hinter den Blumentöpfen, und er konnte mich nicht sehen. Er schien mir sehr aufgeregt zu sein: ob es das Resultat seiner Berechnungen war, oder irgend etwas anderes, das auf ihn so wirkte, weiß ich nicht; er rieb sich die Hände und konnte nicht ruhig auf einem Flecke stehen. Mit immer wachsender Erregung warf er einen zweiten, sehr entschlossenen Blick auf die künftige Braut. Er wollte auf sie zugehen, sah sich aber zunächst argwöhnisch um. Und dann näherte er sich auf den Zehenspitzen, wie schuldbewußt dem Kinde. Er lächelte der Kleinen zu, beugte sich über sie und küßte sie auf den Kopf. Das Kind, das den Überfall nicht erwartet hatte, schrie erschrocken auf.
    »Was machen Sie hier, liebes Kind?« fragte er flüsternd. Dabei sah er sich im Kreise um und tätschelte zugleich dem Mädchen die Wangen.
    »Wir spielen ... «
    »So? Mit dem da?« Julian Mastakowitsch schielte auf den Knaben.
    »Du solltest doch lieber in den Saal gehen, mein Freund!« sagte er zu ihm.
    Der Knabe schwieg und starrte ihn mit weitaufgerissenen Augen an. Julian Mastakowitsch sah sich noch einmal um und beugte sich wieder zur Kleinen. »Haben Sie ein Püppchen da, liebes Kind?« fragte er sie.
    »Ja, ein Püppchen,« antwortete das Mädchen schüchtern und verzog etwas das Gesicht.
    »So, ein Püppchen ... Und wissen Sie, liebes Kind, woraus Ihr Püppchen gemacht ist?«
    »Ich weiß nicht ...,« antwortete die Kleine kaum hörbar und senkte ihr Köpfchen.
    »Aus Läppchen, mein Schatz, – Du solltest doch lieber in den Saal zu deinen Freunden gehen, mein Junge!« sagte Julian Mastakowitsch, mit einem strengen Blick auf den Knaben. Das Mädchen und der Knabe machten unzufriedene Gesichter und faßten sich bei den Händen. Sie wollten sich nicht trennen.
    »Und wissen Sie, warum man Ihnen das Püppchen geschenkt hat?« fragte Julian Mastakowitsch weiter, seine Stimme immer mehr und mehr dämpfend.
    »Ich weiß nicht.«
    »Nun, weil Sie die ganze Woche über ein liebes und wohlerzogenes Kind gewesen sind!«
    Nun sah sich Julian Mastakowitsch, dessen Aufregung wohl ihren Höhepunkt erreicht hatte, wieder um, dämpfte noch mehr seine Stimme und fragte kaum hörbar und bebend:
    »Und werden Sie mich lieben, liebes Kind, wenn ich zu Ihren Eltern zum Besuch komme?«
    Bei diesen Worten wollte er das liebe Mädchen wieder küssen, doch der rothaarige Knabe, welcher sah, daß das Mädchen dem Weinen nahe war, faßte sie an den Händen und begann aus Mitgefühl zu heulen. Julian Mastakowitsch wurde nun ernsthaft böse.
    »Geh weg! Geh weg von hier!« schrie er den Kleinen an. »Geh in den Saal! Zu deinen Freunden!«
    »Nein, ich will nicht! Ich will nicht! Gehen Sie doch weg!« sagte das Mädchen. »Lassen Sie ihn in Ruhe! Lassen Sie ihn!« Sie weinte schon beinahe.
    An der Türe ließ sich ein Geräusch vernehmen; Julian Mastakowitsch erschrak und reckte seinen majestätischen Leib. Noch mehr als er erschrak aber der rothaarige Junge: er ließ das Mädchen stehen und schlich sich leise, an der Wand entlang, aus dem Salon ins Eßzimmer. Um jeden Verdacht von sich abzulenken, begab sich Julian Mastakowitsch gleichfalls in das Eßzimmer. Er war rot wie ein Krebs, und als er sich, zufällig in einem

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