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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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Spiegel erblickte, schien er sich vor sich selbst zu schämen. Vielleicht ärgerte er sich über seine eigene Übereilung und Ungeduld. Vielleicht hatte ihn vorher seine Berechnung an den Fingern so sehr begeistert und entzückt, daß er seine ganze Gesetztheit und Würde außer acht ließ und sich wie ein dummer Junge zu handeln entschloß, der den Gegenstand seines Schwärmens im Sturme zu erobern versucht, obwohl dieser Gegenstand erst in mindestens fünf Jahren ein wirklicher Gegenstand werden kann. Ich folgte dem würdigen Herrn ins Eßzimmer, und meinen Augen bot sich ein seltsames Schauspiel. Julian Mastakowitsch, der vor Ärger und Bosheit ganz rot geworden war, suchte den rothaarigen Knaben aus dem Eßzimmer zu verjagen. Doch der Knabe zog sich vor ihm immer weiter und weiter zurück und wußte schließlich nicht, wohin er sich in seiner Angst verkriechen sollte.
    »Geh hinaus! Geh hinaus! Was machst du hier, frecher Bengel? Stiehlst wohl Obst vom Tische, was? Du stiehlst Obst? Geh hinaus, rotznasiger Taugenichts! Geh zu deinen Freunden ...«
    Der erschreckte Knabe entschloß sich zum äußersten Mittel und rettete sich unter den Tisch. Nun nahm der wütende Verfolger sein langes Battisttuch aus der Tasche und versuchte damit den Knaben, der ganz still und verängstigt unter dem Tische kauerte, herauszupeitschen. Ich muß bemerken, daß Julian Mastakowitsch ziemlich korpulent war: ein sattes, rotbackiges, stämmiges Männchen mit ziemlichen Embonpoint und fetten Schenkeln, rund wie eine Nuß. Er schwitzte und schnaubte entsetzlich und war über und über rot. Allmählich geriet er in Raserei: so groß war sein Zorn und vielleicht auch (wer kann es wissen?) seine Eifersucht. Ich lachte aus vollem Halse auf. Julian Mastakowitsch wandte sich nach mir um und wurde, trotz seiner ganzen majestätischen Würde, furchtbar verlegen. In diesem Augenblick zeigte sich an der entgegengesetzten Türe der Herr des Hauses. Der Knabe kroch unter dem Tische hervor und wischte sich Knie und Ellenbogen ab. Julian Mastakowitsch beeilte sich, sein Taschentuch, das er noch an einem Zipfel in der Hand hielt, an die Nase zu führen, als wollte er sich gerade schneuzen.
    Der Hausherr sah uns drei etwas erstaunt an. Doch als ein Mann, der das Leben kennt und es stets von der ernsten Seite nimmt, nützte er sofort die Gelegenheit aus, den Gast ohne viele Zeugen sprechen zu können.
    »Das ist der Knabe,« sagte er, auf den Rothaarigen zeigend, »für den ich mir vorhin mich bei Ihnen zu verwenden erlaubte ...«
    »Ach so!« erwiderte Julian Mastakowitsch, der sich noch nicht ganz erholt hatte.
    »Der Sohn der Gouvernante meiner Kinder,« fuhr der Hausherr in bittendem Tone fort. »Seine Mutter ist eine arme Frau, die Witwe eines sehr ehrlichen Beamten; und darum, wenn es möglich ist, Julian Mastakowitsch ...«
    »Ach, nein, nein!« fiel ihm Julian Mastakowitsch hastig ins Wort. »Nein, Sie müssen mich entschuldigen, Philipp Alexejewitsch, aber es geht wirklich nicht. Ich habe mich erkundigt: es gibt keine einzige Freistelle, und wenn es auch eine gäbe, so warten auf sie bereits zehn andere Kandidaten, die alle mehr Anrecht haben als er ... Es tut mir wirklich sehr leid ...«
    »Schade,« sagte der Hausherr, »denn er ist ein stilles und bescheidenes Kind ...«
    »Ein unerzogener Bengel, wie ich sehe,« entgegnete Julian Mastakowitsch, seinen Mund hysterisch verziehend. »Geh weg, Junge! Was stehst du da? Geh doch zu deinen Freunden!« sagte er, sich wieder an den Knaben wendend.
    Er konnte sich offenbar nicht mehr beherrschen und schielte mit einem Auge auf mich. Auch ich konnte mich nicht beherrschen und lachte ihm gerade ins Gesicht. Julian Mastakowitsch wandte sich sofort wieder weg und fragte den Hausherrn so demonstrativ, daß ich es merken mußte, wer dieser sonderbare junge Mann sei? Sie begannen beide zu flüstern und verließen das Zimmer. Ich sah noch, wie Julian Mastakowitsch, den Erklärungen des Hausherrn zuhörend, mißtrauisch den Kopf schüttelte.
    Als ich genug gelacht hatte, kehrte ich in den Saal zurück. Der große Mann stand, von Vätern und Müttern umgeben, da und sprach mit großer Begeisterung auf eine Dame ein, zu der man ihn eben herangeführt hatte. Die Dame hielt das Mädchen an der Hand, mit dem Julian Mastakowitsch soeben den Auftritt im Salon gehabt hatte. Jetzt erging er sich in begeisterten Lobsprüchen auf die Schönheit, die Talente, Grazie und Wohlerzogenheit des schönen Kindes. Er machte der

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