Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
Vom Netzwerk:
erhöhten Schaffot hinabstieg. Nach ihm kam der Geistliche auf das Schaffot, das Kreuz in der Hand, und forderte zur Beichte auf. Doch nach Dostojewskis Aussage hat sich von ihnen keiner zur Beichte gemeldet, außer Schaposchnikoff (seines Standes Kleinbürger), aber das Kreuz haben sie alle geküßt. Also auch Petraschewski, von dem wir doch mit Bestimmtheit wissen, daß er überzeugter Atheist war? Wenn hier nicht ein Irrtum Dostojewskis vorliegt, so bleibt diese Tatsache gerade so unerklärt, wie die andere: weshalb nur Schaposchnikoff beichtete, während doch mehrere von ihnen zweifellos religiös waren (Duroff sogar »bis zur Lächerlichkeit«)? Im übrigen dürfte alles, was Dostojewski im »Idiot« von dem zum Tode Verurteilten erzählt, und somit auch, wie der Verurteilte das Kreuz küßt, mit jenem eigenen Erlebnis in Verbindung stehen, ja zum Teil einfach autobiographisch sein.
    Das Erscheinen des Geistlichen zur Beichte zwang die Verurteilten, bestimmt zu glauben, daß die Hinrichtung tatsächlich vollstreckt werden würde: Denn das Abendmahl, so sagten sie sich, würde man doch nicht zu einer dekorativen Zutat machen. N. Kaschkin war es, wie er mir erzählte, allerdings aufgefallen, daß der Geistliche die geweihten Gaben zum heiligen Abendmahl gar nicht bei sich hatte, und so wagte er denn, da er am Ende der Reihe und gerade in der Nähe des Ober-Polizeimeisters stand, diesen leise auf französisch zu fragen: »Wird man uns denn, wenn wir beichten, nicht das heilige Abendmahl empfangen lassen?«, worauf ihm General Galachoff gleichfalls auf Französisch zuflüsterte: »Sie werden alle begnadigt«. So erfuhr denn nur ein einziger von ihnen, daß die Hinrichtung garnicht stattfinden werde.
    Inzwischen aber wurden bereits die ersten drei an die Pfähle gebunden. Es waren das Petraschewski, Mombelli und Grigorjeff. Vor jedem Pfahl stand ein Offizier mit einer Anzahl Soldaten und das Kommando zur Bereitschaft war schon gegeben. Dostojewski erinnerte sich später, daß ihn die Trennung von den ihm lieben Menschen, die er nun im Leben zurücklassen mußte, damals gar nicht schmerzte; es war ja auch viel zu wenig Zeit, darüber nachzudenken. Er empfand nur eine mystische Angst und stand ganz unter dem Einfluß des Gedankens, daß er in irgend welchen fünf Minuten in ein anderes, unbekanntes Leben übergehen werde (also war in ihm der Glaube an die Unsterblichkeit doch nicht im geringsten erschüttert). Aber wie erschüttert er sonst auch war, er verlor nicht die Fassung. Wie ein Augenzeuge berichtet, war Dostojewski nicht bleich; er ging ziemlich schnell aufs Schaffot und erschien eher eilfertig als bedrückt. Ganz anders dagegen wirkte all das auf einige seiner Gefährten. Der Gardeoffizier Grigorjeff war, wie wir wissen, schon in der Festung geistig unzurechnungsfähig geworden. Nun gaben ihm das Angebundenwerden an den Pfahl und das Kommando an die Soldaten, die Gewehre bereit zu machen, den Rest. Es fehlte nur noch der Befehl »Feuer!« und alles wäre zu Ende gewesen. Doch da wurde mit einem Tuch gewinkt – und die Hinrichtung ward aufgehalten. Als man aber Grigorjeff vom Pfahl losband, war er bleich wie der Tod. Sein Geist war endgiltig zerstört.
    Nach der Aussage von J. Desbut erschien vielen von ihnen die Mitteilung der Begnadigung durchaus nicht als etwas Freudiges, sondern nahezu als etwas Beleidigendes: mit solcher Feindseligkeit hatte dieses ganze gegen sie angewandte Verfahren sie erfüllt.
    In seinem »Tagebuch eines Schriftstellers« vom Jahre 1873 kommt Dostojewski ausführlich auf seine und seiner Gefährten allgemeine Stimmung zu sprechen. Doch was er selbst damals im Innersten empfunden hat, das finden wir – abgesehen von gelegentlichen kurzen Vergleichen oder Bemerkungen, so im »Raskolnikoff« – hauptsächlich in den zum Teil buchstäblich autobiographischen Schilderungen des Fürsten Myschkin im Roman »Der Idiot«. Diese enthalten – in Personen vorgeführt – eine ganze empirische Psychologie in Verbindung mit der religiös-philosophischen Frage nach der Berechtigung der Todesstrafe überhaupt...
    Noch an demselben Tage schrieb Dostojewski einen Brief an den Bruder, in dem er diesem nur kurz die Tatsachen mitteilte. »... Ich hatte noch Zeit,« schreibt er, »Pleschtschejeff und Duroff, die neben mir standen, zu umarmen und Abschied von ihnen zu nehmen. Schließlich wurde Retraite getrommelt. Die, welche bereits an die Pfähle gebunden waren, wurden zurückgeführt und man las

Weitere Kostenlose Bücher