Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
Vom Netzwerk:
müßten. Zum letztenmal umarmten sie sich und drückten sie einander die Hände. Miljukoff und Michail Michailowitsch hörten aber, daß die Abfahrt in einer Stunde, nicht später, erfolgen werde, und so blieben sie vor dem Tor der Festung und warteten ... Die Nacht war nicht kalt und sternhell... Wieder erklang das Glockenspiel vom Turme, es war neun Uhr, als zwei Schlitten herausfuhren, und auf jedem saß ein Sträfling mit einem Gendarmen. »Lebt wohl!« riefen die Zurückbleibenden ihnen nach. »Auf Wiedersehen!« wurde ihnen geantwortet.
    Den einen sollte Miljukoff erst nach zehn Jahren, den anderen überhaupt nicht wiedersehen.
    Das Folgende erzählt Iwan Jastrshemski:
    »Man wird sich wohl kaum eine Vorstellung davon machen können, wie erfreut ich war, daß man mich mit Dostojewski und Duroff zusammen transportierte. Die Einzelhaft in diesen ganzen acht Monaten hatte mich so zermürbt und physisch vernichtet, daß Duroff, der auf dem Schafott neben mir stand, mich nicht erkannte. Nun war die Möglichkeit, in den kurzen Erholungspausen während der Reise mit ihnen wenigstens sprechen zu können, schon ein wahres Glück für mich.
    »Wir kamen nach Tobolsk... und wurden im Ostrogg (Zuchthaus) in einen großen Raum geführt, von wo aus die weitere Verteilung der Gruppen erfolgte. In diesem Raum waren an die dreihundert Männer, Frauen und Kinder von jedem Alter und von allen Rassen; die einen wurden in Ketten geschmiedet, andere an einer eisernen Stange aufgereiht, den dritten wurde das Haar vom Schädel bis zur Haut abrasiert. Dieses ganze Schaustück machte auf mich einen erschütternden Eindruck. Wir wurden dem Aufseher des Gefängnisses übergeben... Wir waren die ganze Nacht und einen Teil des Tages bei 40° Kälte gefahren, da war es wohl erklärlich, daß ich mir unsere Ankunft in Tobolsk in Verbindung mit der Vorstellung von irgend einer warmen Unterkunft und heißem Tee gedacht hatte. Doch auf meine Frage, ob wir einen Ssamowar bekommen könnten, antwortete Iwan Gawrilowitsch (der Aufseher) mit der Gegenfrage: ›Wie denken Sie denn die Etappenreise durch Sibirien fortzusetzen? Wir haben keinen Ssamowar.‹ Diese Worte eröffneten mir die Perspektive der Weiterreise zu Fuß vielleicht über Tausende von Werst. Und mir fiel das soeben gesehene Bild der Vorbereitung zum Weitermarsch der Gruppen ein.
    »Wir kamen in die Gefängniskanzlei... einen dunklen, schmutzigen Raum, wo mir als erstes die ›Beamten‹ auffielen, die hier das schriftliche erledigten. Diese Individuen staken in kamelhaarenen Sträflingsröcken; die einen waren als Schwerverbrecher auf Stirn und Wangen mit den eingebrannten Buchstaben K. A. T. gestempelt, andere, denen man zur Kennzeichnung auch noch die Nüstern herausgeschnitten hatte, mit den Buchstaben W. O. R.. Physiognomien à l'avenant...
    »Iwan Gawrilowitsch kam auf uns zu. ›In Ketten?‹ fragte er barsch. »Jawohl,« antworteten wir. »Durchsuchen,« kommandierte er. Und wir wurden einer Durchsuchung unterzogen, daß uns vor Scham und Empörung das Blut zu Kopfe stieg... Hierauf wurden wir in eine Kammer geführt, in einen schmalen, dunklen, kalten, schmutzigen Raum... In diesem Raum war eine Pritsche, auf der drei schmutzige, mit Heu gefüllte Säcke lagen und drei ebensolche Kopfkissen, sonst nichts. Vollkommene Finsternis. Hinter der Tür, im Flur, die schweren Schritte des Postens, der hin und her schritt – in einer Kälte von vierzig Grad.
    »Wir setzten uns und kauerten uns zusammen – Duroff auf der Pritsche, ich neben Dostojewski auf dem Fußboden. Hinter der dünnen Wand, oder fast war es nur ein Bretterverschlag, wo, wie wir später erfuhren, Untersuchungsgefangene untergebracht waren, hörte man das Aufschlagen der kleinen Krüge und Gefäße, aus denen sie Schnaps tranken, dazu die Ausrufe der Karten- und Würfelspieler und ein solches Geschimpfe, solche Flüche ...
    »Duroffs Finger und Zehen waren erfroren. Bei Dostojewski hatten sich schon in der Peter-Pauls-Festung skrophulöse Wunden im Gesicht und im Munde gebildet. Und mir war die Nasenspitze erfroren.
    »Inmitten dieser ... Umgebung fiel mir mein früheres Leben ein, mein Leben in Petersburg, im Kreise junger, sympathischer, kluger Universitätskameraden ... Ich dachte, was wohl meine Schwester sagen würde, wenn sie mich hier sähe? Ich dachte, für mich gäbe es keine Rettung mehr, und beschloß, meinem Leben ein Ende zu machen, wozu ich schon in der Peter-Pauls-Festung Vorbereitungen getroffen

Weitere Kostenlose Bücher