Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
so fügt, daß in Ihrer Tasche sich gerade nur hundert Franken befinden, und Sie werfen eiligst die hundert hin, indes Ihr Blick um Verzeihung bittet. Doch großmütig wird Ihnen das für Ihre lumpigen hundert Franken Gekaufte eingewickelt, man verzeiht Ihnen auch die ganze Mühe und Ruhestörung, die Sie verursacht haben, und Sie beeilen sich, so schnell wie möglich sich aus dem Laden hinaus zu drücken. In Ihrem Hotelzimmer wundern Sie sich dann nicht wenig über die Tatsache, daß Sie, der Sie doch nur zehn Franken hatten ausgeben wollen, dabei hundert Franken losgeworden sind. Wie oft habe ich auf den Boulevards oder in der Rue Vivienne, wo sich so viele Läden mit Modegegenständen befinden, bei mir gedacht: wenn man unsere russischen Damen hierher führte und ... Doch von den Folgen werden Ihnen am besten die Bevollmächtigten und Dorfältesten der Güter in den Gouvernements von Orloff, Tamboff usw. berichten können. Russen haben überhaupt die Sucht, bei Einkäufen in Läden so zu tun, als hätten sie unermeßlich viel Geld. Dafür aber gibt es auch eine Unverschämtheit in der Welt, wie z. B. bei den Engländerinnen, die sich dadurch, daß ein solcher Adonis oder Wilhelm Tell den ganzen Ladentisch für sie allein mit Haufen von Sachen bedeckt und in allen Fächern das Unterste zu oberst gekehrt hat, nicht nur nicht verwirren lassen, sondern noch – es ist nicht zu glauben! – noch wegen irgend welcher zehn Franken zu handeln anfangen. Aber der Wilhelm Tell ist kein Stümper in seinem Fach: er versteht es schon, sich zu rächen und für einen Schal im Werte von tausendfünfhundert Franken der Mylady zwölftausend abzuknöpfen, und dies noch auf eine Weise, daß sie mit ihrem Einkauf vollkommen zufrieden bleibt. Doch davon abgesehen, liebt der Bourgeois bis zur Leidenschaft unaussprechlichen Edelmut. Auf der Bühne zeige ihm unbedingt nur Uneigennützigkeit. Gustave, der Held, muß nur so strahlen vor lauter edlen Eigenschaften und der Bourgeois weint vor Rührung. Ohne unaussprechlichen Edelmut kann er nun einmal nicht ruhig schlafen. Daß er aber zwölftausend statt tausendfünfhundert Franken genommen hat, das war ja einfach seine Pflicht: er hat sie doch nur aus Tugend genommen. Stehlen ist schändlich, ist gemein, – dafür kommt man auf die Galeeren; der Bourgeois ist bereit, vieles zu verzeihen, doch nie und nimmer Diebstahl, und sollten Sie auch mitsamt Ihren Kindern Hungers sterben. Doch wenn Sie aus besagtem Pflichtgefühl, also aus Tugendhaftigkeit stehlen, oh, dann wird Ihnen alles und ohne weiteres verziehen. Dann wollen Sie eben faire fortune und sich viele Sachen anschaffen, also die Natur- und Menschheitspflicht erfüllen. Deshalb sind denn auch in seinem Kodex ganz genau die Punkte angegeben, die Diebstahl aus niedrigen Gründen, also etwa um ein Stück Brot, von Diebstahl aus hoher Tugendhaftigkeit unterscheiden. Letzterer wird sogar sehr gefördert, ist im höchsten Maße sicher gestellt und ungemein zweckmäßig organisiert.
Warum also, frage ich – ich komme immer wieder darauf zurück – warum ist denn dem Bourgeois bei alledem auch heute noch so bänglich zumute, ganz als säße er nicht auf seinem eigenen Stuhl? Weswegen fühlt er sich denn noch beunruhigt? Wegen der Parleure und Phraseure etwa? Aber die kann er doch jetzt mit einem einzigen Fußtritt zum Teufel jagen. Oder ist er es wegen der Beweise der reinen Vernunft? Aber die Vernunft hat sich doch vor der Wirklichkeit als bankrott erwiesen und überdies fangen ja die Vernünftler, die Gelehrten, jetzt selber an zu erklären, es gäbe überhaupt keine Beweise der reinen Vernunft, die reine Vernunft sei in der Welt überhaupt nicht vorhanden, die abstrakte Logik sei auf die Menschheit nicht anwendbar, es gebe eine Vernunft von Iwan, von Peter, von Gustave, doch eine reine Vernunft habe es noch nie gegeben; das sei nur eine unbegründete Erdichtung des achtzehnten Jahrhunderts. – Wen also hat er zu fürchten? Die Arbeiter? Aber die Arbeiter sind doch alle in der Seele gleichfalls Besitzer: ihr ganzes Ideal besteht doch nur darin, Besitzer zu sein und sich möglichst viel Sachen anzuschaffen! so ist nun einmal ihre Natur. Die Natur wird keinem umsonst gegeben. Alles das ist von Jahrhunderten groß gezogen, von Jahrhunderten gezüchtet. Nationalität läßt sich nicht mit Leichtigkeit umwandeln, es ist nicht leicht, von Gewohnheiten abzulassen, die schon Jahrhunderte alt und in Fleisch und Blut übergegangen sind. Oder
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