Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
fürchtet er die Landbevölkerung? Aber die französischen Landleute sind ja der Erztypus der Besitzer, sind die stumpfesten Besitzer, also das beste, das vollkommenste Ideal des Besitzers, das man sich nur vorstellen kann. Oder fürchtet er die Kommunisten? Oder schließlich die Sozialisten? Aber diese Leutchen haben ja ihre Sache seinerzeit gewaltig verspielt und im Grunde seiner Seele verachtet der Bourgeois sie tief,– verachtet sie und dabei fürchtet er sie doch. Ja, eben diese Leute fürchtet er. Und doch sollte man meinen: warum denn, weshalb? Hat denn der Abbé Sieyès in seinem berühmten Pamphlet nicht prophezeit, daß der Bourgeois alles sein werde? »Was ist der tiers état ? Nichts. Was müßte er sein? Alles.« Nun, es ist so gekommen, wie er gesagt hat. Von allen Worten, die damals gesagt worden sind, sind nur diese in Erfüllung gegangen; nur sie allein sind geblieben. Der Bourgeois aber scheint es immer noch nicht so recht glauben zu wollen, ungeachtet dessen, daß alles andere, was nach diesen Worten des Abbé gesagt worden ist, vergangen und verschwunden ist wie eine geplatzte Seifenblase. In der Tat: bald nach ihm verkündete man ja: liberté, égalité, fraternité . Wunderbar. Aber was bedeutet nun eigentlich liberté ? – Freiheit. Was für eine Freiheit? – Die gleiche Freiheit aller, alles zu tun, was man will, sofern das Wollen innerhalb der Grenzen der Gesetze bleibt. Wann aber kann man alles tun, was man will? – Wenn man eine Million hat. Gibt die Freiheit jedem Menschen diese Million? – – Nein. Was ist ein Mensch ohne eine Million? – Ein Mensch ohne eine Million ist nicht jemand, der alles macht, was er will, sondern jemand, mit dem man macht, was man will. Was folgt daraus? – Daraus folgt, daß es außer der Freiheit noch Gleichheit gibt und zwar Gleichheit vor dem Gesetz. Von dieser Gleichheit vor dem Gesetz läßt sich freilich nur das eine sagen, nämlich: daß in der Form, wie sie jetzt angewandt wird, jeder Franzose sie nur für eine persönliche Beleidigung halten kann und muß. Was verbleibt nun noch von der Formel? – Brüderlichkeit. Nun, dieses Kapitel ist das Allerkurioseste; und man muß schon zugeben, daß es im Westen noch bis zum heutigen Tage der größte Stein des Anstoßes ist. Der Westeuropäer redet von Brüderlichkeit wie von einer großen, die Menschheit bewegenden Kraft und verfällt überhaupt nicht darauf, daß Brüderlichkeit sich von nirgendwoher nehmen läßt, wenn sie nicht als Wirklichkeit einfach vorhanden ist. Also was tun? – Ja, da muß man Brüderlichkeit eben irgendwie machen, herstellen, denn zur Stelle schaffen muß man sie unbedingt. Aber da zeigt es sich, daß Brüderlichkeit überhaupt nicht zu machen ist, weil sie sich nämlich von selbst macht, weil sie gegeben sein, in der Natur liegen muß. In der französischen Natur aber, ja, in der westeuropäischen überhaupt, hat sich das Vorhandensein der Brüderlichkeit nicht gezeigt, sondern statt ihrer das Vorhandensein des Prinzips der Einzelperson, der Persönlichkeit, der verstärkten Selbsterhaltung, Selbstbehauptung, des Selbstbetriebs, der Selbstbestimmung innerhalb des eigenen Ich , das Prinzip, dieses Ich der ganzen Natur und allen übrigen Menschen entgegenzustellen als ein befugtes Element für sich, das der Gesamtheit alles anderen, das außer ihm in der Welt vorhanden ist, als vollkommen gleichberechtigt und gleichwertig gegenübersteht. Nun, und aus einer solchen Selbsteinschätzung hat Brüderlichkeit eben nicht hervorgehen können. Warum nicht? – Weil in der Brüderlichkeit, in der wirklichen Brüderlichkeit nicht der einzelne Mensch, nicht das Ich für das Recht seiner Gleichwertigkeit und Gleichwichtigkeit gegenüber allem Übrigen sorgen soll, sondern dieses Übrige von selbst zu der ihr Recht fordernden Persönlichkeit, zu diesem einzelnen Ich kommen und von selbst, ohne von ihm darum gebeten zu sein, dieses einzelne Ich als sich, d.h. allem übrigen auf der Welt Vorhandenen, gleichwertig und gleichberechtigt anerkennen müßte. Und das ist noch nicht alles: dieser selbe rebellische und fordernde Einzelmensch müßte als Erstes sein ganzes Ich, sich selbst restlos der Gesamtheit opfern und nicht nur sein Recht als einzelner Mensch nicht fordern, sondern, im Gegenteil, dasselbe der Gesamtheit ohne Vorbehalt und ohne alle Bedingungen hingeben. Aber die westeuropäische Persönlichkeit ist einen solchen Lauf der Dinge nicht gewohnt: kämpfend stellt sie ihre
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