Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
Fleiß und Artigkeit gewissenhaft wieder gut zu machen? Warum sieht er immer so aus, als sage er fast wortwörtlich: »Heute mache ich wieder ein paar Geschäftchen in meinem Laden und, so Gott will, morgen auch und vielleicht auch noch übermorgen, wenn Gott mir gnädig ist ... Nun und dann, dann aber ... wenn man nur schneller ein Sümmchen in Sicherheit hätte, und« ... und weiter denkt er nicht;– après moi le déluge . Warum hat er alle Armen irgendwohin weggeschafft und warum beteuert er, es gäbe sie in Frankreich überhaupt nicht? Warum begnügt er sich so stillschweigend mit einer Regierungspresse und mit vorschriftsmäßiger Literatur? Warum will er sich so furchtbar gern einreden, seine Zeitungen seien nicht käuflich? Warum willigt er ein, so viel Geld für Spione auszugeben? Warum wagt er gegen die Mexikanische Expedition auch nicht mit einer Silbe zu mucksen? Warum werden auf den Bühnen seiner Theater die Ehemänner immer als so edle und mit Geld und Gütern wohlversehene Herren dargestellt, die Liebhaber dagegen immer als irgend solche armselige, verlumpte Habenichtse ohne Stellung und ohne Protektion, als irgend solche Kommis oder Künstler, jedenfalls als im höchsten Grade lumpige Leutchen? Warum gaukelt er sich vor, daß die Epousen alle ohne Ausnahme bis zum Äußersten ihren Gatten treu seien, daß sein Heim in Wohlbehagen still gedeihe, der pot-au-feu in tugendvollster Hitze brodele und die Kopfzier seines eigenen Hauptes in einer so tadellosen Verfassung sei, wie man sie sich besser gar nicht denken könnte? Gerade bezüglich der Kopfzier ist seine Überzeugung von ganz besonderer Festigkeit: so ist es nun einmal vereinbart, ohne alles Gerede, so hat es sich von selbst eingeführt und festgesetzt; und wenn auch auf den Boulevards jeden Augenblick geschlossene Mietskutschen mit herabgezogenen Rollvorhängen vorüberfahren, wenn es auch überall Zufluchtsstätten für alle möglichen interessanten Erfordernisse gibt und wenn auch die Toiletten der Epousen nur allzuoft teurer sind, als nach dem Beutel des Gemahls anzunehmen wäre, so bleibt es doch dabei, denn so ist es nun einmal vereinbart und unterschrieben – also was wollen Sie nun noch? Und warum ist es so vereinbart und unterschrieben? Ja aber: wenn es das nicht wäre, dann könnte man ja womöglich denken, das Ideal sei noch nicht erreicht, Paris sei noch nicht das vollendete irdische Paradies, könnte denken, daß man schließlich doch noch was wünschen dürfe, daß folglich der Bourgeois auch selber noch nicht ganz zufrieden sei mit dieser Ordnung, für die er einsteht und die er allen aufbinden will. Man könnte glauben, daß es in dieser Gesellschaft doch irgend welche Sprünge und Risse gibt, die man ausbessern müßte. Sehen Sie, deshalb schwärzt der Bourgeois die Risse in seinen Stiefeln mit Tinte, damit man nur ja nicht, Gott behüte, etwas bemerke! Die Epousen aber naschen derweil Süßigkeiten, sind behandschuht, daß die russischen Damen im fernen Petersburg sie bis zur Hysterie beneiden, zeigen ihre Füßchen und raffen auf den Boulevards überaus graziös die Röcke. Was will man denn noch zum vollkommenen Glück? Eben deshalb sind auch Romantitel wie z. B. »Die Frau, der Mann und der Liebhaber« unter den gegenwärtigen Verhältnissen bereits unmöglich, da es Liebhaber doch nicht mehr gibt, gar nicht geben kann. Und selbst wenn es ihrer in Paris so viele geben sollte wie Sand am Meer (und es gibt ihrer dort vielleicht sogar noch mehr), so sind sie dennoch nicht vorhanden und können gar nicht vorhanden sein, sintemal es ein für allemal so festgestellt und unterschrieben ist und nun alles in Tugenden glänzt. Das aber ist unbedingt erforderlich daß alles in Tugenden glänzt.
Betrachtet man abends im Palais-Royal das Bild, das sich dort im großen Hof bis elf Uhr nachts dem Auge bietet, so ist man unfehlbar versucht, eine Träne der Rührung zu vergießen. Um die Zeit ergehen sich nämlich dortselbst unzählige Ehemänner mit ihren unzähligen Epousen am Arm in der milden Abendluft, indes ihre reizenden, wohlerzogenen Kinderchen ringsum spielen. Dazu plätschert das Springbrünnlein und das eintönige Rauschen seines Wassers erinnert einen an etwas Ruhiges, Stilles, Tagtägliches, Beständiges, Heidelbergisches. Und so plätschert ja nicht nur ein einzelnes Springbrünnlein in Paris: der Springbrünnlein gibt es dort viele und überall ist es dasselbe, so daß wahrlich das Herz sich freuen kann.
Das Bedürfnis nach
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