Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
Tugend ist in Paris nicht zu löschen. Der Franzose von heute ist ernst, solide und im Herzen oft sogar gerührt, so daß ich eigentlich nicht verstehe, warum ihm noch immer so furchtbar bange ist vor irgend etwas, bange sogar trotz der ganzen gloire militaire , die in Frankreich ja so floriert und für die Jacques Bonhomme so teuer zahlt. Der Pariser liebt es unendlich, Geschäfte zu machen, doch ich glaube, selbst wenn er seine Geschäftchen abwickelt oder Sie in seinem Laden nach allen Regeln der Kunst übers Ohr haut, tut er das nicht einfach um des Gewinnes willen, wie es früher geschah, sondern aus reiner Tugend, aus einem gewissen heiligsten Pflichtgefühl. Ein Vermögen aufzuspeichern und möglichst viel Sachen zu besitzen, das ist zum Hauptgesetz der Sittlichkeit, ja zum Katechismus des Parisers geworden. Das war allerdings auch früher schon so, jetzt aber, jetzt hat das ein gewisses, sozusagen heiliges Ansehen bekommen. Früher hatte außer dem Gelde immerhin auch noch manches andere Geltung, so daß auch ein Mensch ohne Geld, wenn er statt des Geldes andere Eigenschaften besaß, noch auf eine gewisse Achtung rechnen konnte; jetzt aber ist das einfach ausgeschlossen. Jetzt muß man sich zunächst Geld verschaffen und sich obendrein möglichst viel Sachen anlegen, dann erst kann man auf eine gewisse Achtung rechnen. Und nicht bloß Achtung von seiten anderer, nein, auch Selbstachtung ist nur noch auf diesem Wege zu erlangen. Der Pariser hält sich selbst nicht für einen Sou wert, wenn er fühlt, daß seine Taschen leer sind, und das tut er nicht etwa unbewußt, nein, bewußt tut er es, tut es auf Ehre und Gewissen, tut es aus größter Überzeugung. Es werden Ihnen ganz erstaunliche Dinge erlaubt, wenn Sie nur Geld haben. Ein armer Sokrates ist nur ein dummer und schädlicher Phraseur und wird höchstens im Theater geachtet, dieweil nämlich der Bourgeois im Theater die Tugend immer noch zu achten liebt.
Fürwahr, ein sonderbarer Mensch ist dieser Bourgeois: da erklärt er unumwunden, daß Geldbesitz die höchste Tugend und Menschenpflicht sei, und dabei liebt er es ungeheuer, sich zugleich als den edelsten der Menschen aufzuspielen. Die Franzosen haben alle ein bewundernswert edles Gehaben. Selbst das erbärmlichste Französchen, das für einen Viertelrubel seinen leiblichen Vater an Sie zu verkaufen bereit ist und Ihnen dann obendrein und sogar ungebeten noch irgend etwas auf den Kauf gibt, hat gleichzeitig, ja buchstäblich in derselben Minute, in der er seinen leiblichen Vater verkauft, eine so sichere, selbstverständliche Haltung, daß Sie in Zweifeln befangen dastehen und sich bloß wundern können. Sie treten in einen Laden, um irgend etwas zu kaufen, und selbst der letzte Kommis erdrückt, jawohl, erdrückt Sie einfach mit seinem unsagbaren Edelmut. Das sind dieselben Kommis, die unserem Michailoff-Theater als Musterbeispiel des allerfeinsten Süperflü dienen. Sie fühlen sich , kaum daß Sie in den Laden eingetreten sind, sofort bedrückt, fühlen sich geradezu schuldig vor diesem Kommis. Sie haben den Laden betreten, um, sagen wir, zehn Franken auszugeben, und man empfängt Sie, als wären Sie Lord Devonshire in eigener Person. Sie empfinden aus einem unbestimmten Grunde sogleich die schrecklichsten Gewissensbisse, Sie möchten so schnell wie möglich den Irrtum aufheben, möchten versichern, daß Sie keineswegs Lord Devonshire, sondern nur so ... eben nur ein bescheidener Reisender sind, und daß Sie hier bloß für zehn Franken zu kaufen beabsichtigen. Doch der junge Mann von glücklichstem Äußeren und unaussprechlichstem Edelmut in der Seele, bei dessen Anblick Sie sich selbst womöglich für einen Schurken zu halten geneigt sind (dermaßen edel sieht er aus!), beginnt bereits Ware für Zehntausende von Franken vor Ihnen auszubreiten. In einem Augenblick hat er für Sie schon den ganzen Ladentisch mit Bergen von Sachen bedeckt, und da bedenke man bloß, wieviel er, der Arme, nachher wieder einwickeln, einpacken, wegräumen muß, er, dieser Grandison, Alcibiades, Montmorency, und das noch um wessentwillen? Um Ihretwillen, der Sie die Frechheit gehabt haben – Sie mit Ihrem keineswegs beneidenswerten Äußeren, Sie mit allen Ihren Untugenden und Mängeln und Ihren ekelhaften zehn Franken –, einen solchen Marquis zu belästigen! Wenn man alles das bedenkt, beginnt man ganz unwillkürlich und auf der Stelle sich selbst zu verachten. Sie bereuen und verwünschen das Schicksal, welches es
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