Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
damit nur Eure Brüderlichkeit gedeihe und verbleibe« ... Die Brüderlichkeit aber müßte hierauf sagen: »Du gibst uns zu viel. Wir haben kein Recht, von dir das nicht anzunehmen, was du uns gibst, denn du sagst doch, daß dieses Gebenkönnen dein ganzes Glück sei; aber was sollen wir tun, wenn unser Herz unaufhörlich auch um dein Glück schmerzt. So nimm denn auch von uns alles. Wir werden uns unaufhörlich und aus allen Kräften bemühen, es so zu machen, daß du soviel wie nur möglich persönliche Freiheit habest, soviel wie nur möglich Selbstbestimmungsrecht. Fürchte dich jetzt nicht mehr vor Feinden, weder vor Menschen noch vor der Natur. Wir stehen alle für dich, wir alle sichern dich vor Gefahr, wir werden uns unermüdlich für dich mühen, weil wir Brüder sind; wir sind doch alle deine Brüder, und unserer sind viele und wir sind stark, also sei ganz unbesorgt und guten Muts, fürchte nichts mehr und verlaß dich auf uns.«
Nach solchen Worten wäre freilich nichts mehr zu teilen, es würde sich alles von selbst verteilen. Liebet einander und alles dieses wird Euch zuteil.
Aber was ist das doch für eine Utopie, meine Herrschaften! Alles beruht auf dem Gefühl, auf der Natur und nicht auf der Vernunft. Das ist doch sogar fast wie eine Erniedrigung für die Vernunft. Also was meinen Sie? Ist das nun eine Utopie oder nicht?
Aber wiederum: was soll denn der Sozialist anfangen, wenn im westeuropäischen Menschen die Grundlage, das Prinzip der Brüderlichkeit, nun einmal nicht liegt, sondern statt dessen, im Gegenteil, das Prinzip der Einzelheit, der Persönlichkeit, die sich unausgesetzt absondert, die mit dem Schwert in der Hand ihre Rechte fordert? Der Sozialist, der nur sieht, daß Brüderlichkeit nicht vorhanden ist, beginnt also zur Brüderlichkeit zuzureden. Da die Brüderlichkeit ihnen nicht von Natur gegeben ist, will er sie künstlich herstellen. Doch um ein Hasenragout machen zu können, muß man zuvor einen Hasen haben. Den Hasen aber gibt es dort nicht, d.h. man hat nun einmal nicht die Natur, die der Brüderlichkeit fähig ist, eine Natur, die an Brüderlichkeit glaubt, die es von selbst nach Brüderlichkeit verlangt! In der Verzweiflung beginnt der Sozialist die zukünftige Brüderlichkeit zu konstruieren, zu definieren, nach Gewicht und Maß zu berechnen, mit Vorteilen zu locken; er erklärt, er lehrt, er erzählt, wieviel Vorteile den Menschen durch diese Brüderlichkeit erwüchsen und was ein jeder durch sie alles gewönne; er setzt auch fest, was jeder einzelne vorzustellen, was er zu tragen habe, und bestimmt auch im voraus die Zuteilung der irdischen Güter: wieviel einem jeden davon zukomme, d.h. wieviel jeder davon verdiene und wieviel ein jeder dafür freiwillig auf Kosten seiner Persönlichkeit der Genossenschaft abzutreten habe. Was aber ist denn das noch für eine Brüderlichkeit, wenn schon im voraus geteilt und festgesetzt wird, wieviel ein jeder zu bekommen verdient und was ein jeder tun muß? Übrigens – es ward ja die Formel verkündet: »Einer für Alle und Alle für Einen.« Etwas Besseres als dieses hätte man sich allerdings nicht ausdenken können, um so weniger, als diese ganze Formel unverändert einem Buch entnommen ist, das alle kennen. Doch siehe, man begann diese Formel praktisch anzuwenden und da geschah es, daß schon nach sechs Monaten der Begründer dieser Brüderlichkeit, Cabet, vors Gericht gezogen wurde. Die Fourieristen haben, wie man hört, schon die letzten neunhunderttausend Franken ihres Kapitals abgehoben und versuchen immer noch, die Brüderlichkeit irgendwie zu verwirklichen. Es kommt aber nichts dabei heraus. Natürlich hat es etwas sehr Verlockendes, wenn auch nicht auf brüderlicher, so doch auf rein vernunftgemäßer Grundlage zu leben, d.h. es ist schön und gut, wenn alle dich sicherstellen und von dir nur Arbeit und Übereinstimmung verlangen. Aber hier stellt sich nun wieder ein Rätsel ein: man sollte meinen, der Mensch werde doch vollkommen sichergestellt, man verspricht ihm Essen und Trinken, verspricht ihm Arbeit, und dafür verlangt man von ihm nur ein winziges Körnchen seiner persönlichen Freiheit zum Wohle der Allgemeinheit, nur ein ganz, ganz kleines Körnchen. Doch nein, das paßt dem Menschen nicht, selbst dieses winzige Körnchen abzutreten fällt ihm schon zu schwer. Infolge seiner Dummheit scheint es ihm immer, daß ein solches Leben ja so gut wie ein Gefängnisleben sei und allein für sich sei es besser, denn – da
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