Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
unter voller Wahrung von Ehre und Haltung: denn wie gesagt, es sah niemand etwas davon – außer mir. Ich aber – nun, ich bin doch nichts, d. h. ich will damit nur sagen, daß ich nichts davon habe verlauten lassen, es ist also ganzso, als hätte auch ich nichts gewußt. Nun und nachher haben Pjotr Petrowitsch und Akssentij Ossipowitsch immer so zueinander gestanden, als wäre nie etwas zwischen ihnen vorgefallen. Pjotr Petrowitsch ist, wissen Sie, solch ein Ehrgeiziger, daher hat er denn auch niemand etwas gesagt, und jetzt grüßen sie sich, als ob nichts vorgefallen wäre, und reichen sich sogar die Hand.
Ich widerspreche ja nicht, Warinka, ich wage ja gar nicht, Ihnen zu widersprechen, ich sehe es selbst ein, daß ich tief gesunken bin und ich habe sogar, was am schrecklichsten ist, an Selbstachtung viel, ach, sehr viel verloren. Doch das wird mir wahrscheinlich schon von Geburt an so bestimmt gewesen sein: das war eben mein Schicksal, – dem Schicksal aber entgeht man nicht, wie Sie wissen.
So, das wäre jetzt die ausführliche Erzählung alles dessen, was mich in meiner Not und meinem Elend noch heimgesucht hat, Warinka. Wie Sie sehen, ist es von der Art, daß es besser wäre, gar nicht daran zu denken. Ich bin krank, mein Kind, und da sind mir alle bessern Gefühle abhanden gekommen. Ich schließe, indem ich Sie, verehrte Warwara Alexejewna, meiner Anhänglichkeit, Liebe und Hochachtung versichere, und verbleibe
Ihr ergebenster Diener
Makar Djewuschkin.
29. Juni.
Mein lieber Makar Alexejewitsch!
Ich habe Ihre beiden Briefe gelesen und die Händezusammengeschlagen! Mein Gott, mein Gott! Hören Sie, mein Freund, entweder verheimlichen Sie mir etwas oder Sie haben mir überhaupt nur einen Teil Ihrer Unannehmlichkeiten geschrieben, oder … wirklich, Makar Alexejewitsch, aus Ihren Briefen lese ich noch immer eine gewisse Verstörtheit heraus … Kommen Sie heute zu mir, um Gottes willen kommen Sie! Und hören Sie: kommen Sie einfach zum Mittagessen zu uns. Ich weiß nicht, wie Sie dort leben und wie Sie jetzt mit Ihrer Wirtin stehen. Sie schreiben davon nichts, und zwar scheinbar absichtlich, als wollten Sie wieder etwas verschweigen.
Also auf Wiedersehen, mein Freund, kommen Sie unbedingt heute zu uns. Ueberhaupt wäre es besser, wenn Sie immer bei uns essen würden. Fedora kocht sehr gut. Leben Sie wohl.
Ihre
Warwara Dobrosseloff.
1. August.
Warwara Alexejewna, meine Liebe!
Sie freuen sich, mein Kind, daß Gott der Herr Ihnen jetzt Gelegenheit gegeben hat, Gutes mit Gutem zu vergelten und mir Ihre Dankbarkeit zu beweisen. Ich glaube daran, Warinka, und glaube an die Engelsgüte Ihres Herzchens, und will Ihnen keinen Vorwurf machen, nur müssen auch Sie mir nicht wie damals vorwerfen, daß ich auf meine alten Tage ein Verschwender geworden sei. Nun, ich habe eben mal gesündigt, was ist da zu machen! – wenn Sie durchaus wollen, daß es eine Sünde sei. Nur sehen Sie,Warinka, gerade von Ihnen das zu hören, das tut weh!
Aber seien Sie mir deshalb nicht böse, daß ich Ihnen das sage. In meinem Herzen ist alles krank, mein Kind. Arme sind eigensinnig: – das ist von der Natur selbst so eingerichtet. Ich habe es auch früher schon beobachtet und selbst gefühlt. Der arme Mensch ist empfindlich: Gottes Welt sieht er anders an, auf jeden Vorübergehenden sieht er mißtrauisch von der Seite, und schaut sich überall argwöhnisch und verwirrt um, und horcht auf jedes Wort – ob da nicht etwa von ihm gesprochen wird? Ob man sich nicht gerade zuflüstert, wie unansehnlich und abgerissen er ausschaue? Ob man sich nicht frage, was er gerade in diesem Augenblick wohl empfinde? Vielleicht auch, wie er denn eigentlich von dieser, und wie er wohl von jener Seite sich ausnehme? Das weiß doch ein jeder, Warinka, daß ein armer Mensch schlechter als ein alter Lappen ist und keinerlei Achtung von anderen Menschen verlangen kann, was man da auch immer schreiben mag! Denn was diese Buchmenschen da schreiben: es bleibt am armen Menschen doch alles so, wie es war. Und weshalb bleibt es so, wie es war? Nun, weil bei einem armen Menschen alles sozusagen mit der linken Seite nach außen sein muß, er darf da nichts tiefinnerlich Verborgenes besitzen, keinen Ehrgeiz beispielsweise oder sonst sowas, das duldet man einfach nicht. Noch neulich sagte mir der Jemeljä, daß man einmal irgendwo eine Kollekte für ihn gemacht habe, und daß er dabei für jeden Heller gewissermaßen einer Besichtigung unterzogen
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