Werke
Sind Sie es denn, Herr Valentin?‹
Und beschämt erwiderte ich: ›Ja, Ännchen, ich bin es freilich! – Wie kommen Sie hierher?‹
Sie stand schon vor mir und legte die Hand auf meinen Arm. ›Ich – ich habe in der Stadt gefragt; man hatte Sie aus dem Tore gehen sehen.‹
›Aber das ist kein Weg für Sie; so allein auf der wüsten Straße!‹
›Ich hatte solche Angst; Sie waren krank geworden. Mein Gott, warum sind Sie nicht nach Haus gegangen?‹
›Nein, Ännchen‹, sagte ich, ›ich bin nicht krank geworden; das war eine von den Lügen, welche die Not oder die Scham uns auf die Lippen treibt. Ich hatte nur etwas übernommen, wozu mir Gott die Fähigkeit versagt hat.‹
Da schlangen sich zwei junge Arme um meinen Hals, und Ännchens übermütiges Köpfchen lag schluchzend an meiner Brust. – ›Und wie Sie aussehen!‹ flüsterte sie. ›Sie haben keinen Hut auf dem Kopfe, keinen Mantel!‹
– ›Ja, Ännchen – ich habe das wohl vergessen, da ich fortging.‹
Und die kleinen Hände umschlossen mich noch fester. – Es war so still im weiten dunkeln Felde; der kleine Hund hatte sich zu unsern Füßen gelagert. Wenn eines Menschen Auge uns jetzt erblickt hätte, er würde geglaubt haben, es sei ein Bund fürs Leben hier geschlossen worden. Und es war doch nur ein Abschied.« – Der stille Mann blickte bei diesen Worten in sein Glas, das er vorhin ergriffen hatte, als könnten aus dessen Grunde die Träume seiner Jugend auferstehen. – Durch das Fenster, dessen einer Flügel offenstand, tönte aus der Luft herab der Schrei eines vorüberziehenden Vogels. –
Er blickte auf. »Hörten Sie das?« sagte er. »Ein solcher Schrei von Wandervögeln trieb uns auch in jener Nacht nach Hause. Wir gingen dann den ganzen Weg noch Hand in Hand.
– – Am andern Morgen stieg auch die alte Signora Katerina aus ihrem Mansardenkäfig zu mir herab. Sie war völlig außer sich. ›Und vor diesen Kleinstädtern!‹ rief sie. ›Sie wissen nur nicht aufzutreten, Monsieur Valentin! Sehen Sie, so – so trat ich zu meinen Zeiten vor die Lampen!‹ Und sofort stand sie, mit ihrem Schal drapiert, in einer heroischen Attitüde vor mir da. ›Ich möchte den sehen, der mir die Kehle hätte zuschnüren wollen! Selbst vor dem großen Meister hab ich nur ein weniges gezittert.‹
Allein, was half das mir! – Noch am selben Tage erfuhr ich überdies, daß mein alter Lerngenosse sich ebenfalls als Musiklehrer dort niederzulassen gedachte. Es mochte ihm mit seinem Virtuosentum auf die Dauer nicht geglückt sein; aber er besaß doch, was mir fehlte. Ich wußte wohl, ich mußte gehen.
Schon nach wenigen Tagen half Ännchen mir meine kleinen Kisten packen, und manche Träne aus ihren mitleidigen Augen fiel dabei auf meine alten Bücher; ich mußte zuletzt sie gar noch selber trösten.
– Wohin ich meine Schritte richten sollte, darüber war ich nicht in Bedenken; ich besaß hier in meiner Vaterstadt zwar nicht Haus und Hof, aber eben vor dem Tor doch meiner Eltern Grab. – Als ich, hier angelangt, meine Habseligkeiten wieder aus den Kisten packte, fand ich unter meinen Noten das wohlbekannte Kristalldöschen bis zum Rande voll von Pfefferminzpastillen. – Die gute Signora Katerina – sie hatte mir doch den Ehrenpreis noch reichen wollen.
Aber es ist zu spät«, sagte er, jetzt plötzlich aufstehend, indem er eine große goldene Uhr aus seiner Tasche zog; »weit über Bürgerbettzeit! Was werden meine alten Bleichersleute denken!«
»Und Ännchen?« fragte ich. »Was ist aus der geworden?«
Er war eben beschäftigt, die lange Pfeife wieder an den Haken zu hängen, von dem ich sie vorhin für ihn herabgenommen hatte. Jetzt wandte er sich zu mir, und in seinem Antlitz stand wieder das stille, kindliche Lächeln, das ihn so sehr verschönte.
»Aus Ännchen?« wiederholte er. »Was immer aus einem übermütigen jungen Mädchen werden sollte, eine ernste Frau und Mutter. Nachdem sie unserer Signora ihren schweren Abtritt von der Erdenbühne durch treue Pflege, wie ich es hoffen will, ein wenig tröstlicher gemacht hatte, hat sie zwar keinen Prinzen, aber doch, was sie auch noch der alten Freundin demütig eingestanden, einen braven Schullehrer geheiratet. Sie wohnen seit Jahren hier am Ort; vorhin, da Sie mich trafen, kam ich just aus ihrer Wohnung.«
»So ist also Ännchen die Mutter Ihrer Lieblingsschülerin?«
Er nickte. »Nicht wahr, das Leben ist ganz leidlich mit mir umgegangen? – Aber nun gute Nacht, vergessen
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