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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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wandten. Wieder wurde geflüstert, und mehr noch als zuvor: – ich wußte nicht weshalb, aber der Atem stand mir still. Da hörte ich neben mir ganz deutlich eine Stimme sagen: ›Aber ich dachte, er käme erst morgen; wie hübsch, daß er heut schon da ist!‹ – Er war also dennoch angekommen! – Es war ein betäubender Schlag, der mich getroffen hatte. – Was konnte ich dem Manne, dem großen Künstler, mit meinem Spiel noch bringen! – Wo dort unten im Saale mochte er jetzt stehen oder sitzen? – Aus all den Hunderten von Gesichtern starrten mich seine Augen an und nun – ich fühlte es – neigte er das Ohr, um jeden meiner Töne aufzufangen. Eine wahre Jagd von Angstgedanken raste durch meinen Kopf; noch ein paar Takte versuchten es meine plötzlich wie gelähmten Finger; dann überfiel mich eine ratlose Gleichgültigkeit, zugleich eine seltsame Entrückung in längst vergangene Zustände. Mir war auf einmal, als stehe das Klavier auf seinem alten Platz im elterlichen Wohnzimmer; auch mein Vater stand plötzlich neben mir; und statt in die Tasten griff ich nach seiner Schattenhand.
    Was weiter geschah, weiß ich kaum. Als ich mich wieder auf mich selbst besann, saß ich auf einem Stuhl in dem hinter dem Podium des Saales befindlichen Zimmer, in dem wir unsere Überkleider abzulegen pflegten. Ich sei krank geworden – so war mir, als hätte ich drinnen noch gesagt.
    Ein Licht mit langer Schnuppe brannte auf dem Tische; die matt erleuchteten Wände des Zimmers, die vielen dunkeln Kleider, die überall umherlagen: es sah recht öde aus. – So hatte ich einst als Knabe gesessen, nur nicht so ganz vernichtet; auch fühlte ich, daß jetzt meine Augen trocken waren, und niemand pochte an, der mich zu meinem Vater schicken wollte. Ich war ja jetzt ein Mann – – ›Mein armer, lieber Junge!‹ – – wie lange war er tot, der diese Worte einst gesprochen hatte!
    Da drang aus dem Saale drüben ein wirres Stimmengetöse zu mir her. – Ich weiß nicht, hatte ich es vorhin nur nicht gehört, oder war es eben erst hervorgebrochen; aber wie jähes Entsetzen fiel es mich an; es jagte mich aus dem Zimmer, aus dem Hause. Barhaupt, ohne Mantel rannte ich auf die Straße hinaus und weiter, ohne umzusehen, durch das Tor ins Freie. Der Stadt zunächst standen alte Lindenalleen; dann kam die breite wüste Landstraße. Ich wanderte immer weiter, ohne Zweck, ohne Gedanken; nur die Angst vor der Welt, vor den Menschen fieberte mir im Gehirn.
    Weit hinter der Stadt führte die Straße über eine Anhöhe, die nach der einen Seite jählings in die Tiefe schoß. Unten ging ein reißendes Wasser; es rauschte fortwährend neben mir dahin. Ich weiß noch wohl, im Osten stand die schmale Mondsichel; sie leuchtete nicht, aber sie zeichnete sich scharf auf dem dunkeln Nachthimmel ab; es war fast finster auf der Erde. – Als ich den höchsten Punkt erreicht hatte, bemerkte ich einen großen Feldstein, der dort oberhalb des Wassers unter einem Baume lag; ich wußte nicht weshalb, aber ich setzte mich darauf. Es war noch früh im März; die Zweige über mir waren noch nackt und schlugen im Nachtwind aneinander; dann und wann fielen Tropfen in mein Haar und rieselten kühl über mein Gesicht. Aber hinter mir in der Tiefe rauschte das Wasser, unaufhörlich, eintönig, zum Schlaf verlockend wie ein Wiegenlied.
    Ich hatte den Kopf gegen den feuchten Stamm gelehnt und lauschte der verführerischen Melodie der Wellen. ›Ja‹, dachte ich, ›schlafen! Wer nur schlafen dürfte!‹- Und wie Stimmen tauchte es auf und rief zu mir empor: ›Ach, unten, da unten die kühle Ruh!‹ Immer bestrickender in Schuberts süßen, schwermütigen Tönen drang es mir ans Herz. – Da hörte ich Schritte aus der Ferne, und plötzlich, wie wach geworden, sprang ich auf. Ich war ja nicht jener lyrische Müllergesell des Schubertschen Gesanges, ich war eines tüchtigen, praktischen Mannes Sohn, an so etwas durfte ich auch jetzt nicht denken!
    Und immer näher von der Gegend der Stadt her kamen die Schritte auf mich zu; daneben erkannte ich noch andere, trippelnde, wie von einem kleinen Hunde. Ich zweifelte nicht mehr, sie war es, ihr kleiner Wachtelhund begleitete sie; es gab noch eine Menschenseele, die mich nicht vergessen hatte! Das Herz schlug mir in den Hals hinauf; ich weiß nicht, war’s vor Freude, oder war’s die Angst, daß ich mich dennoch täuschen könne. Aber da kam schon aus dem Dunkel wie ein Lichtstrahl ihre liebe Stimme: ›Herr Valentin!

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