Werke
hatte bald, ich weiß nicht wie, zwei Plätze für uns frei gemacht. Neben mir saß ein alter weißhaariger Herr mit ein paar dunkeln Augen in dem feingeschnittenen Gesichte. »Nun also Mozart!« sagte er vor sich hin und faltete die Hände auf dem gelbseidenen Taschentuche, das er über seine Knie gebreitet hatte.
Bald darauf, während ich bei dem hellen Licht der Gaskronen die einfach, aber mit besonderem Farbensinn dekorierten Wände des Saales betrachtete, war gegenüber auf dem Podium die Sängerin aufgetreten: ein blasses Mädchen mit ein Paar dunkeln Flechten an den Schläfen. Das Orchester intonierte die ersten Takte zu der Arie der Elvira aus dem zweiten Akte des »Don Juan«. Und nun hob sie das Notenblatt in ihrer Hand: »In quali eccessi, o numi!« Mir war, als hätte ich niemals einen zugleich so anspruchlosen und so ergreifenden Gesang gehört; der alte Herr an meiner Seite nickte immer nachdrücklicher mit dem Kopfe; das war die Kunst, die alles Erdenleid in Wohllaut löste! Aber dann – wie alles Schöne – war es schon zu Ende, als eben das Ohr am trunkensten lauschte.
Ein paar scharf akzentuierte Bravos flogen durch den Saal, ein vereinzeltes Händeklatschen; aber der Beifall war nicht allgemein. Der flott frisierte Kopf eines vor uns sitzenden jungen Mannes bog sich nach dem alten Herrn zurück. »Was sagst du, Onkel? Hübsche Stimme; aber etwas seltsam; autodidaktisch!«
Der Alte blickte ihn mit sehr feinen Augen an. »So, mein Herr Neffe«, sagte er, »hast du das herausgehört!« Und mit einer höflichen Bewegung sich zu mir wendend, setzte er fast feierlich hinzu: »Das war der Mozart, wie ich ihn in meiner Jugend hörte!«
Aber das Konzert ging weiter. »Nun kommen die Kunstversuche des Vereins!« flüsterte an der andern Seite mein Freund mir in die Ohren.
Und so war es in der Tat: ein Geigenquartett von einem lebenden Meister kam zur Aufführung, aber alle Sorgfalt und Sicherheit der Spielenden konnte diesen Kunstfiguren keine Seele einhauchen; ein müdes, zweckloses Umschauen ging durch die Reihen der Zuhörer. Der alte Mozartianer an meiner Seite hatte schon ein paarmal den Ansatz eines Gähnkrampfes in seinem gelbseidenen Schnupftuche verbissen; endlich war denn auch der dritte Satz, und zwar im Fünfachteltakte, glücklich an uns vorbeigehüpft.
Die Spieler traten ab, und die Pulte wurden zurückgesetzt; im Zuhörerraume aber saßen die meisten mit sehr dummen Gesichtern; sie wußten offenbar nicht, was sie aus der Sache machen sollten. – Da trat die junge Sängerin wieder auf das Podium, eine kleine Notenrolle in der Hand. Ihr Antlitz trug einen schalkhaften, fast siegesbewußten Ausdruck, und mir kam schon der Verdacht, sie wolle den modernen Geigencancan durch ein noch entschiedeneres Bravourstück der vox humana aus dem Felde schlagen. –
Ich hatte mich zum Glück geirrt. Es galt ja auch noch nicht einmal eine Orchesterbegleitung: nur der Kapellmeister saß am Flügel, der inzwischen in den Vordergrund geschoben war. Ein paar einleitende Akkorde wurden angeschlagen, und dann begann ein Vorspiel von ebenso großer Einfachheit als süßem Wohllaut; wie ein frohes Aufleuchten flog es plötzlich durch den ganzen Saal, und dann kam es, mit der stillen Gewalt der Menschenstimme:
Du liebe schöne Gotteswelt,
Wie hast du mir das Herz erhellt!
Aber was war denn das? Das kannte ich; das stand ja vorn auf dem weißen Blatt in meinem »Bürger«; das waren ja die Worte meines alten Musikmeisters Christian Valentin. Mein Gott, wie lange hatte ich nicht an ihn gedacht!
Von reinen jugendlichen Tönen getragen, klang es durch den Saal; eine unbeschreibliche Rührung befiel mich. Ob er denn auch die Melodie zu seinen Worten selbst gefunden hatte? – Die Notenrolle in der herabhängenden Hand, stand die Sängerin da; eine Begeisterung, eine hingebende Liebe sprach aus ihrem jungen Antlitz; und jetzt in unaussprechlich süßen Tönen erschollen die letzten Worte:
Da sang auch ich in frohem Mut:
Ich wußte ja, mein Herz war gut!
Eine lautlose Stille herrschte, als sie geendet hatte. Dann aber brach ein stürmischer, nicht enden wollender Beifall los; der alte Herr an meiner Seite hatte, ohne daß ich es bemerkte, meine Hand ergriffen und drückte sie jetzt aufs zärtlichste. »Das ist Seele – Seele!« sagte er und wiegte seinen grauen Kopf. Ich aber riß hastig das Programm aus meiner Tasche; und richtig, da stand der Name meines alten Freundes, zweimal stand er da:
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