Werke
war darin; so kannte ich ihn, so mußte auch der junge einst gewesen sein.
Und da stand er selber vor mir, das schlanke, etwas blasse Mädchen mit dem glänzend braunen Haar an seiner Hand. »Ja«, sagte er, »das ist meine liebe Marie; wir feiern heut zum ersten Male wieder unsern Sonntagnachmittag; und, in der Tat, es macht mir riesig Freude, daß auch Sie dazu gekommen sind!« Dann aber, das Buch mit dem beschriebenen Blatt in meiner Hand erblickend, errötete er plötzlich wie ein Mädchen. »Nehmen Sie das andere Exemplar für sich«, sagte er, »ich bitte darum, die Stiche sind ungleich kräftiger.«
Aber ich suchte meinen Besitz zu behaupten. »Darf ich nicht dies behalten? Oder trennen Sie sich nicht davon? Ich seh, es ist aus Ihrer Knabenzeit.«
Er blickte mich fast dankbar an. »Ist das Ihr Ernst?« sagte er. »So ist es in guten – in den allerbesten Händen.«
Dann saßen wir zu dreien um den sonntäglichen Kaffeetisch; die kleine Dame machte gar anmutig die Wirtin und hörte im übrigen schweigend unsern Gesprächen zu.
»Also, Freund Valentin«, sagte ich, »noch eines müssen Sie erzählen; auch dieser braune Trank öffnet ja die Lippen der Menschen. Was ist aus Ihrem Veilchenplatz geworden? Sieht ihn die Frühlingssonne noch, oder ist er, wie so manches Schöne, in einen Kartoffelacker umgewandelt?«
Über Valentins Gesicht glitt ein frohes, fast ein wenig schlaues Lächeln. »Sie wissen wohl noch nicht«, sagte er, »daß ich ein heimlicher Verschwender bin!«
»Oho, Freund Valentin!«
»Doch, doch! Der Platz gehörte einem alten Sonderling. Ich bin sein Erbe geworden; das heißt, ich habe aus seinem Nachlaß dieses unnütze Grundstück um blankes Silbergeld erstanden. – Aber nicht wahr, Marie?« und er nickte seinem Liebling zu, »wir beide kennen seinen Wert, wir wissen auch, zu welchem Geburtstage wir notwendig dort die Veilchen pflücken müssen!«
Da legte das schlanke Mädchen den Kopf auf seine Schulter und schlang die Arme um seinen Hals. »Zu Mutters Geburtstage«, sagte sie leise; »aber Onkel, das ist jetzt noch lange hin.«
»Nun, nun, es wird ja wieder Frühling werden!«
»Das wolle Gott, Freund Valentin!« sagte ich. »Darf ich dann mitgehen und die Kränze binden helfen?«
Zwei Hände streckten sich mir entgegen: die eine war schlank und schön und jung, die andere – ich wußte es, das war eine treue Hand.
Ich bin nicht hingekommen; noch bevor der Winter zu Ende ging, hatte mich das Leben weit von dieser Stadt hinweggetrieben. Noch einmal durch einen gemeinsamen Bekannten erhielt ich einen Gruß von Valentin; noch einige Male, wenn es Frühling wurde, dachte ich an seinen Veilchenplatz, und dann nicht mehr. Andere Gestalten drängten sich herbei, hinter denen allmählich die des stillen Musikanten ganz verschwunden war.
Etwa zehn Jahre später kam ich auf einer längeren Reise durch eine der größeren mitteldeutschen Städte, deren Orchesterverein damals auch in weiteren Kreisen eines wohlverdienten Rufes genoß; nicht allein durch die eigenen tüchtigen Leistungen, sondern ebensosehr, weil die Direktion es verstand, mit ihren verhältnismäßig bescheidenen Mitteln fast für jedes Konzert auch von außen her irgendeinen bedeutenden Künstler mit heranzuziehen.
Es war im Spätherbst und schon Abend, als ich ankam. Ein dort wohnender musikliebender Freund, der mich am Bahnhof erwartet hatte, kündigte mir an, es sei Orchestervereinskonzert heute abend; ich müsse sogleich mit ihm kommen, es sei die höchste Zeit. Ich wußte aus Erfahrung, gegen diesen Enthusiasten war nicht aufzukommen, und so übergab ich denn meinen Gepäckschein nebst überschüssigem Reisegerät dem Diener irgendeines Hotels; gleich darauf saßen wir in einer Droschke, die uns gegen doppelten Fuhrlohn in raschem Trabe nach dem mir schon früher bekannten »Museum« brachte. Unterwegs hatte ich noch erfahren, daß für den heutigen Abend eine junge Sängerin gewonnen sei, eine Art von Unicum für klassische Musik, die außerdem die Schrulle habe, sich stets als die Schülerin eines gänzlich unbekannten Menschen aufzuführen.
Das Konzert hatte bei unserer Ankunft schon begonnen, und wir mußten an der geschlossenen Tür des Saales warten, bis die letzten Takte der Hebriden-Ouvertüre verklungen waren. Als die Türen wieder geöffnet wurden, steckte mein Freund mir ein inzwischen von ihm besorgtes Programm in die Brusttasche meines Rockes, zog mich bei der Hand in den gefüllten Saal und
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