Werke
Sie den Bürger nicht!« Er nahm seinen grauen Hut und ging.
Ich hatte mich ins offene Fenster gelegt und rief ihm noch eine »Gute Nacht!« zu, als er unten aus der Haustür trat, und sah ihm nach, wie er zwischen den schwach brennenden Laternen die Straße hinabeilte und endlich in der Finsternis verschwand.
Die nächtliche Stille war schon völlig eingetreten. Zwischen dem Dunkel der Erde und der dunkeln Kluft des Himmels lag das schlummernde Menschenleben mit seinem ungelösten Rätsel.
Etwa acht Tage später befand ich mich auf dem Wege nach dem Bleicherhäuschen. Schon ehe ich es erreicht hatte, hörte ich von dorther Klaviermusik. ›Ei‹, dachte ich, ›jetzt fängst du ihn in voller Begeisterung über seinem Mozart!‹ Als ich aber durch die offene Haustür eingetreten und vor dem Zimmer meines Freundes stehengeblieben war, hörte ich, daß drinnen Schuberts moments musicals gespielt wurden; auch war es keine Männerhand, welche diese Töne hervorrief.
»Portamento, nicht staccato!« sagte jetzt die Stimme meines Freundes.
Aber eine andere, jugendliche, von besonders reinem Klange antwortete: »Ich weiß wohl, Onkel; aber klingt das Staccato hier nicht viel, viel schöner!«
»Ei, du Guckindiewelt!« hieß es wieder, »schreib erst selber so etwas, dann kannst du’s halten, wie du willst.«
Noch eine kleine Stille; dann folgte ein Portamento, ich sah es ordentlich, wie die jungen Finger den Ton von einer Taste zu der andern trugen.
»Und nun noch einmal, ob du’s sicher hast!«
Und nun kam es noch einmal, und in vollkommener Sicherheit.
Vor mir an der Tür klebte heute ein augenscheinlich neuer Zettel:
Und sie genas! Wie sollt ich Gott nicht loben;
Die Erde ist so schön,
Ist herrlich doch, wie seine Himmel oben,
Und lustig drauf zu gehn!
Der Vers war aus dem Wandsbecker Boten; ich kannte ihn wohl, aber Freund Valentin hatte sich diesmal eine kleine Änderung gestattet; denn der alte Asmus sprach in jenem Gedichte doch nur von seiner eigenen Genesung.
Als ich, solches erwägend, die Tür öffnete, sah ich neben Valentin ein noch kindliches Mädchen am Klavier sitzen, die mit großen aufmerkenden Augen zu ihm aufblickte.
Mit seinem lieben, jetzt etwas verlogenen Lächeln war er aufgestanden.
»Unsere kleine Sitzung neulich ist Ihnen doch wohl bekommen?« fragte ich, ihm die Hand reichend.
»Mir?« erwiderte er. »Oh, vortrefflich! Aber Ihnen? Ich mag recht viel erzählt haben; Sie wissen, so zu zweien und beim guten Glase!« Er sagte das fast flüsternd, und als müsse er Entschuldigung für sich erbitten, während seine blaßblauen Augen mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Innigkeit auf mich gerichtet waren.
»Im Gegenteil«, sagte ich, »ich bin noch nicht zufrieden; Sie werden noch mehr erzählen müssen! Aber«, fügte ich leiser hinzu, »erst beenden Sie Ihre Stunde mit Ihrem Liebling dort! – denn sie ist es ja doch wohl! – Ich suche mir derweil den Bürger von Ihrem Bücherbrett.«
Er nickte eifrig. »Wir sind gleich zu Ende!« und ging wieder zu seiner Schülerin.
Ich suchte unter seinen kleinen Bücherschätzen und hatte bald die beiden Chodowiecki-Bürger gefunden, von denen ich auf gut Glück das eine Exemplar für mich herauszog. Während ich das Titelbild betrachtete, wo der große Balladendichter in einer Allongenperücke auf offenem Markt die Harfe schlägt, und dabei die moments musicals mir in die Ohren tönten, war eine Magd mit Kaffeegeschirr und Kuchenteller in die Stube eingetreten.
Sie spreitete eine blütenweiße Serviette über den Sofatisch und setzte alles dort zurecht; zwei blau und weiße Tassen standen bald neben der Bunzlauer Kaffeekanne; aber auf einen sehr geschickt von Valentin gegebenen Wink erschien noch eine dritte. Das hatte ich noch bemerkt, als ich auf dem vorgebundenen weißen Blatte meines Büchleins ein geschriebenes Gedicht entdeckte, das meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm; es waren nur kindliche, einfältige Verse, und dennoch, wie Frühlingsatem wehte es mich daraus an.
Du liebe schöne Gotteswelt,
Wie hast du mir das Herz erhellt!
So schaurig war’s noch kaum zuvor,
Da taucht ein blauer Schein empor;
Der Rasen hauchet süßen Duft,
Ein Vogel singt aus hoher Luft:
»Wer treuen Herzens fromm und rein,
Der stimm in meine Lieder ein!«
Da sang auch ich in frohem Mut:
Ich wußte ja, mein Herz war gut!
Ich las es wieder und wieder; das waren jene Verse von dem Veilchenplatze! Der ganze Valentin
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