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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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erkennen konnten. – »Frölen!« rief sie; »Frölen!«
    Es kam keine Antwort, der Wind hatte vielleicht ihren Ruf verweht; aber ein Plätschern scholl jetzt aus dem Floß herauf. Und zufrieden nickend, trabte die Alte wieder in ihren Schuppen.
     
    Drüben auf dem ersten Floß in dem gemeinsamen Ankleideraum hatten indes die jungen Männer auch geplaudert. Der größere mit dem braunen Lockenkopf war ein junger Bildhauer und erst vor einem Vierteljahre aus Italien und Griechenland in die norddeutsche Hauptstadt, seinen Geburtsort, zurückgekehrt; vor einigen Tagen war er noch eine Strecke weiter nördlich, in diese Küstenstadt, gegangen, um endlich den Freund wiederzusehen, mit dem er während beider Studienzeit im südlichen Deutschland im innigsten Verkehr gelebt hatte. Die Tage ihres jetzigen Beisammenseins hatten noch lange nicht gereicht, die Fülle der Erlebnisse zu erschöpfen, die es sie beide drängte, einander mitzuteilen.
    »Und du willst wirklich schon heute abend wieder fort und mich in meinem Aktenstaub allein lassen, nachdem du diese Fülle der Gesichte vor mir heraufbeschworen hast?«
    Halb lächelnd, halb sinnend blickte der junge Künstler auf den Freund. »Warum griffest du nicht selbst zu Meißel oder Pinsel? Jetzt nimm es als dein Schicksal und trag es, wie dein Stammbaum dich!«
    »Aber das ist kein Grund, mich heut schon zu verlassen!«
    »Ich muß, Ernst! Ich habe meiner Mutter versprochen, spätestens morgen wieder bei ihr zu sein; und überdies – du weißt ja, meine Brunhild beunruhigt mich.« Er fuhr mit der Hand durch seine braunen Locken, und über den grauen, hellblickenden Augen faltete sich seine Stirn wie in beginnender geistiger Arbeit.
    »Brunhild!« wiederholte der andere, »ich begreife doch noch immer nicht, wie du gerade an die geraten bist!«
    »Du meinst, was ist mir Hekuba? – Ich weiß es nicht; einmal, in einer Stunde, hatte sie, wie ich glaubte, es mir angetan; aber – –«
    »Aber«, unterbrach ihn sein Freund, »du wirst einen Kommentar in den Sockel deiner Statue einmeißeln müssen! Warum in so entlegene Zeiten greifen? Als wenn nicht jede Gegenwart ihren eigenen Reichtum hätte!«
    »Warum? – Erneste! Du sprichst ja fast wie, ich weiß nicht, welcher große Kritikus über Immermanns ›Tristan und Isolde‹. Was geht den Künstler die Zeit, ja was geht der Stoff ihn an? – Freilich, aus dem Himmel, der über uns Lebenden ist, muß der zündende Blitz fallen; aber was er beleuchtet, das wird lebendig für den, der sehen kann, und läge es versteinert in dem tiefsten Grabe der Vergangenheit.«
    Wie drüben die Augen des schönen Mädchens in ihrer kindlichen Liebe, so glänzten jetzt die Augen des jungen Künstlers in Begeisterung.
    »Wir wollen heut nicht streiten«, sagte der andere und blickte herzlich zu ihm auf; »aber – wann leuchtet dieser Blitz?«
    »Sei nur fromm und ehre die Götter! – Es gilt dann nur, das neuerwachte Leben in das Licht des Tages hinaufzuschaffen, und ich dächte, auch du hättest mir es zugegeben, daß ein paarmal schon meine Augen sehend und meine Hände stark und keusch genug gewesen sind. – Aber das ist es eben«, fuhr er fort, während der Freund ihm seinen stolzen Glauben durch einen Händedruck bestätigte, »ich fürchte, ich habe dieses Mal nicht recht gesehen, oder – ich war zu kurz in der Heimat; die furchtbare Walküre des Nordens verschwindet mir noch immer vor dem heiteren Gedränge der antiken Götterwelt; selbst aus diesen grünen Wellen der Nordsee taucht mir das Bild der Leukothea empor, der rettenden Freundin des Odysseus. – Laß mich jetzt – ich tauge dir doch nicht mehr!«
    Sie hatten während dieses Gespräches ihre Kleider abgeworfen und traten nun auf die offene Galerie hinaus, bereit, sich in das Meer zu stürzen.
    Man hätte wünschen mögen, daß nicht eben der Künstler der noch Schönere von ihnen gewesen wäre, oder lieber noch, daß außer ihnen noch ein anderes Künstlerauge hätte zugegen sein können, um sich zu künftigen Werken an der Schönheit dieser jugendlichen Gestalten zu ersättigen.
    Noch standen sie gefesselt von dem Anblick der bewegten Wasserfläche, die sich weithin vor ihnen ausdehnte. Rastlos und unablässig rollten die Wellen über die Tiefe, wurden flüchtig vom Sonnenstrahl durchleuchtet und verschäumten dann, und andere rollten nach. Die Luft tönte von Sturmeshauch und Meeresrauschen; zuweilen schrillte dazwischen noch der Schrei eines vorüberschießenden

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